Mittwoch, 13. September 2023

Kapitel 179 - von der Kreativität

Der Algorithmus hat etwas angespült. Einen Zufallsfund, der aber, wie so häufig bei Strandgut, ein wahres Kleinod ist und in der Lage ist, mich zu beflügeln. Große Worte, ich merke es selbst, aber fangen wir mal ganz zu Beginn an.

Also, über meine persönliche Strickreise ist an dieser Stelle ja schon einiges geschrieben worden. Vom ewigen Sockenstricker hat mich die glücklicherweise unvermeidliche Evolution endlich zu Oberteilen schreiten lassen. Anleitungen auf deutsch und englisch, verschiedene Stricktechniken, alles lief nach Plan bzw. alles wurde nach und nach - immer mit dem nötigen Respekt und der üblichen Verzögerung (verstehe ich das auch? kann ich genug?) - in Angriff genommen.

Mittlerweile habe ich auch schon Designs von einigen der 'großen' Designer gestrickt. Na, dachte ich, da bist du aber mittlerweile wirklich vorangekommen.

Tja und dann hat der Algorithmus zugeschlagen.

Er hat mir einen Podcast einer jungen Handarbeiterin angespült, der mir erst einmal die Kinnlade offen stehen ließ. So kann man es nämlich auch machen.

Da wird mit dem Stricken und Häkeln völlig anders umgegangen. Es gibt keinen Designer-Olymp, um den man sich bemühen muss, keine 'richtigen' Garnalternativen, die man gestrickt haben muss, um dazuzugehören. Nein, von alledem hört und sieht man da nichts.

Stattdessen gibt es hier jemanden, der einfach beschließt, sich einen Pulli zu häkeln und zwar genau so, wie er im Kopf entstanden ist. Alles, was zur Verfertigung nötig ist, bringt man sich auf dem Weg zum fertigen Strick- oder Häkelstück bei. Vollkommen unabhängig von allen anderen Trends im Podiverse.

Da ist mir zum ersten Mal wieder bewusst geworden, warum man dieses Hobby eigentlich auch betreiben könnte. Nicht etwa, um die Ideen von anderen Leuten einfach zu replizieren, so hübsch das auch sein mag, nein, man bringt sich die Techniken beim, um seine ureigensten Ideen zu verwirklichen.

Das ist natürlich eigentlich gar kein so revolutionärer Gedanke, schon in der Einleitung zu Lisl Fanderls Klassiker 'Bäuerliches Stricken' geht es um "handgeschriebene[…] Musterkombinationen", die sich jemand ausgedacht hat und ganz "nach persönlichem Geschmack" ausgestaltet hat. Aber sich alles komplett selber ausdenken und dann machen? Da war mein Respekt doch zu groß.

Umso erfrischender dieser Mut, sich einfach in ein Projekt zu stürzen. Besonders haben mich die Folgen begeistert, in denen etwas aus Film und Fernsehen nachgestrickt wurde. Da wurde aus einfachen Screenshots ein richtiges Design mit eigener Anleitung, die dann nachgearbeitet wurde. Wer Lust hat, kann hier mal reinschauen. Oder auch hier, wo Mijanou erklärt, wie sie beim Designen vorgeht. Ich bin schwer beeindruckt!

Und klar, da gehen auch Sachen daneben. Da wird nicht die allerneueste Stricktechnik implementiert - die Ärmel könnte man z.B. auch von oben nach unten stricken - da werden Sachen gearbeitet, die der mittelalten süddeutschen Durchschnittsstrickerin nicht wirklich stehen oder gar passen würden - aber der Gedanke ist es, der mich begeistert. Einfach loslegen! Einfach machen! War für ein Schwung!

In der deutschen Strickszene ist Kirsten von Schul Frey auch so ein leuchtendes Beispiel. Hach, ich komme ins Schwärmen.

Und was am besten ist - die grauen Zellen fangen an zu bitzeln und zu sprühen. Ein tolles Gefühl!

Ob das was wird? Ich freue mich!




Freitag, 9. Juni 2023

Kapitel 178 - Tiefseetauchen

Wie bei vielen Podcastern, Bloggern und anderen Leuten, die öffentlich über ihre Garnvorlieben und Strickereien berichten, war natürlich mein Plan für dieses Jahr 2023 auch ein zuverlässiges Verwenden von Wolle aus dem Vorrat, um ebendiesen ein wenig zu verringern. Man ja doch keine utopischen Pläne. Nur die eine oder andere Projekttasche, die leer werden soll, die eine oder andere Garnschale, die danach weniger als zuvor enthält. Eigentlich ist das doch kein Hexenwerk.

Der Stashabbau stand also ganz vorne auf meiner Liste der Neujahrsvorsätze. Obwohl ich da ja offenbar ein bisschen aus der Zeit gefallen bin. Vorsätze fasst man gar nicht mehr, alles kalter Kaffee von gestern. Ich stricke, was ich will, ist die Devise. Naja, ich bin old school und hab's also versucht.


Aus gutem Grunde außerdem - wenn man sich nämlich mal seine Vorräte in ihrer vollen Größe vorknöpft - im Marie Kondo Style gesammelt auf dem Küchentisch auskippt und begutachtet, tja dann ist ein gewisses Unbehagen nicht von der Hand zu weisen. Das Neusortieren macht Spaß, das auch, aber es wird einem doch schnell ein wenig mulmig. Wie viel Pläne man doch hatte! Wie viele Einzelknäuel man in einem Moment der Schwäche gekauft hat! Aber gut, ich stricke, also wollte ich, das war ja die Devise. Kein schlechtes Gewissen beim Hobby!


Aber: was ich bei meinen hochfliegenden Plänen für 2023, immerhin vor sechs Monaten gefasst, noch nicht bedacht hatte, waren alle meinen heimlichen Stashmitbewohner. Alle Knäuel und Knäuelchen, die mir von freundlichen Seelen vermacht worden waren, weil man entweder nicht mehr stricken will oder nicht mehr kann. Oder eben weiß, dass ich schlecht nein sagen kann, wenn mir jemand Wolle anbietet.


Da liegen sie nun, und erzählen davon, was vor vielen Jahren mal der letzte Schrei war. Oder was jemand anderes an Farbvorstellungen hatte. Keine leichte Aufgabe. Je tiefer man in den Stash abtaucht, desto mehr wird klar:

Blass-orange war die Farbe der Stunde.




Halo und Flausch sind keine Erfindungen von heute.




Glitzer auch nicht.


Eigentlich wird damit aber die Aufgabe womöglich ja sogar leichter. Man muss sich also nur nach Anleitungen umsehen, die man für die vorliegenden Wollqualitäten verwenden kann.

Aber das wird in dem Moment zur ungewöhnlich anspruchsvollen Aufgabe, wenn die Banderole der Uralt-Wolle keine richtigen Angaben enthält. Weder Angaben zu Lauflänge, noch zu gedachter Maschenprobe, noch - was eigentlich das Schlimmste ist - zu notwendiger Garnmenge für ein Kleidungsstück. Natürlich hat man ein paar Faustregeln im Kopf, aber wie das so ist mit solchen Regeln, alles geben die natürlich auch nicht her. Ein paar Hinweise würden hier wirklich nicht schaden.


Wie man nämlich sieht - sieht man nix.



Was ist also zu tun? Na, im Zweifel bleibt immer ein RVO übrig. Was für ein Glück, dass ich gerade ein hübsches Strukturmuster zur Hand hatte, das sich ganz unproblematisch auf einen Pullover übertragen ließ, so konnte es also gleich losgehen.



Das nächste Projekt wird ein RVO T-Shirt, da sollte die Wolle also auch reichen und schließlich wird für eine letzte Idee ein bisschen in Kleinstportionen gehäkelt. Da wird dann eben das Garn ersetzt, wenn's ausgeht.


Und siehe da, es funktioniert.


Drei Kleidungsstücke aus drei Uraltgarnen sind in der Mache und teilweise sogar schon fertig. Und die alten Banderolen sind meine liebsten Souvenire. Ich bin in meinen Stash abgetaucht und hab was wirklich Altes verstrickt! Sommerfeeling pur!


Samstag, 31. Dezember 2022

Kapitel 177 - der Kommentar zu den Kommentaren

Pünktlich zum neuen Jahr auch von mir noch ein Kommentar. Diesmal aber zu einem etwas anderen Thema.

Aber fangen wir ganz am Anfang an. 2023 soll - so entnehme ich das der Blog- und Podcast-Welt - das Jahr der Wips werden. Der Ufos, der angefangenen Projekte, der gekauften Anleitungen, etc.

Ich weiß nicht, wie oft, aber ich habe es gefühlt 50x gehört und gelesen, dass das Jahr 2023 für die Strickerin und den Stricker anders werden soll.

Weniger Wollkauf, mehr aus dem Stash verstricken.

Weniger Anleitungen kaufen, mehr stricken, was man schon hat.

Viele - am liebsten alle - angefangenen Projekte endlich beenden und tragen oder verschenken.

Das klingt ja doch sehr nach Vorsätzen, die man selbst immer mal wieder fasst und wann eignet sich das besser, als am Ende eines Jahres, wenn es - morgen nämlich schon - ganz anders werden könnte. Wenn ich mich nur endlich dran halte.

So gesehen ist das alles noch gar nicht seltsam.

Für mich war es eigentlich eher amüsant, dass sich diese Idee besonders in diesem Jahr so deutlich über die Blogosphäre ausgebreitet hat.

Hat vielleicht ja auch mit den Zeichen der Zeit zu tun. Es ist gar nicht so schlecht, wenn man mal wieder drüber nachdenkt, was man mit den Sachen anfangen kann, die man schon hat, anstatt sich immer neue anzuschaffen. Das geht ja ganz in Richtung Sparsamkeit und Achtsamkeit und Nachhaltigkeit und sicher einer oder zwei anderen coolen -heit oder -keit. Soweit so gut.

Was ich aber jetzt überhaupt nicht begreifen kann, und damit sind wir endlich beim Thema, wie sich die Leute darüber aufregen können, dass andere genau dies tun.

Da gibt es also mehr als eine sehr freundliche und geschätzte Youtuberin, die dieses Jahresende zum Anlass nimmt, ihre eigenen Woll- und Projektbeutelschätze zu durchwühlen und dies auch noch für uns geneigte Zuschauer aufnimmt und erläutert. Gute Unterhaltung und nebenbei auch noch eine Menge Anregung für uns.

Was ich dann aber nicht verstehe, sind die bisweilen doch sehr bösartigen Kommentare. Ich zitiere hier mal aus der Fülle:

"Wann willst du das alles Mal fertig kriegen es tut mir richtig weh wenn ich sehe wie die schöne Wolle so nutzlos irgendwo in der Ecke liegt"

Na, also da fehlen mir die Worte. Muss man sowas überhaupt schreiben? Kann man sich sowas - wenn es denn sein muss - nicht einfach nur denken? Was soll denn damit bezweckt werden?

Soll damit womöglich die freundliche Youtuberin zu einem Sinneswandel bekehrt werden (den sie ja eigentlich schon vollzogen hat, weil sie uns ja schon ihre unfertigen Werke zeigt)?

Oder will sich damit die Kommentatorin nicht viel eher selbst beglückwünschen, dass sie alles besser auf die Reihe kriegt als wir anderen, die in unserem Hobby manchmal über die Stränge schlagen.

Neee, neee, neee. So geht das nicht!

Da zitiere ich doch mal kurz die immer noch hilfreiche englische Redewendung: If you can't say anything nice, don't say anything at all. Zu deutsch: Wenn du nichts Nettes sagen kannst, dann sag lieber gar nichts.

Genau so ist das bei den Kommentaren, finde ich. Ich habe auch noch nie verstanden, weshalb es das 'Däumchen nach unten' überhaupt gibt. Wer klickt denn das überhaupt an? Wenn mir ein Video nicht gefällt, dann schau ich es doch gar nicht weiter. Fertig, aus die Maus. Ich kann doch nicht über solch seltsames Geklicke die Welt retten. Wie soll denn das gehen?

Stattdessen sollte man mal überlegen, dass sich da jemand die Mühe macht, für mich ein Video aufzunehmen. Setzt sich hin, schaltet die Kamera ein, erzählt mir etwas, schneidet alles, lädt es hoch. Und dann mache ich den fertig in einem knappen Kommentar, ohne mich auch nur mit einem Wort erst einmal freundlich zu bedanken, dass es überhaupt ein Video gibt. Das ich mir ja auch angesehen habe, also meine eigene Unterhaltung hatte, wie es aussieht.

Das ist doch einfach nur unfair, oder?

Womit mir aber nur einmal mehr klar geworden ist, dass auch wir in unseren heilen Strickwelt gar nicht so nett und freundlich sind, wie wir immer denken. Natürlich teilen wir alle das tollste Hobby der Welt, aber bei uns gibt es genauso viele unfreundliche, arrogante und besserwisserische Leute wie überall anders auch.

Wie schade eigentlich!

Daher hier ein freundlicher Neujahrswunsch für uns alle: nächstes Jahr versuchen wir's besser zu machen. Dieses unfertige Projekt - nämlich mich - kriege ich doch hoffentlich wirklich hin! Den Versuch einer Verbesserung doch zumindest!

Und wie viel besser dann alle Begegnungen mit Strickern und Strickerinnen werden würden - noch tollere Wollfeste, noch freundlichere Kundenberatung im Wollladen, noch interessanterer Projekteaustausch. Also auf geht's ins Jahr 2023 - ins Jahr, in dem wir uns alle auch in der Strickwelt ein bisschen netter begegnen.

Einen Guten Rutsch Euch allen!




Montag, 21. November 2022

Kapitel 176 - Werden und Wachsen

Also - noch vor kurzem wurde hier das Loblied auf den zweiten Socken/Ärmel/Jackenteil gesungen. Das war auch ganz richtig so, aber: das war bevor man sich entschloss, endlich doch kopfüber loszuspringen in unbekanntes Terrain. Etwas versuchen, was man sich zuvor nicht getraut hatte. Etwas völlig Verrücktes machen.  Wovon ist denn nun schon wieder die Rede?

Von der magischen Abkürzung TAAT - two at a time - also zwei Teile gleichzeitig stricken.

Das ist ja nun kalter Kaffee, werden viele Leser und Leserinnen jetzt rufen, zumal was Socken betrifft. Das weiß schließlich jeder. Eh klar. 

Nachdem alle Sockenmethoden einmal durchprobiert waren: Nadelspiel, magic loop, Minirundnadel, zwei Rundstricknadeln - werden bei mir Socken jetzt tatsächlich so gestrickt, wie's im Moment am besten erscheint. GumGum-Socken mit dem Nadelspiel (aufgepasst, Ravelry-Link), Stinos auf zwei Rundstricknadeln und manchmal eben magic loop, wenn man beide Socken gleichzeitig fertig bekommen will, zum Beispiel im aktuellen Weihnachtsstrickgeschäft.

Projekt: Weihnachtssocken, Anleitung: meine eigene (aufgepasst, Ravelry-Link)

Aber wie das so ist, die große Podcast-Welt inspiriert ja nicht nur, was Projekte und Wolle betrifft. Es werden dabei auch immer wieder Methoden vorgestellt, die ein neues Licht auf das eigene Werkeln werfen. Und es fallen immer wieder ein paar gute Tipps ab, die man gerne auch umzusetzen versucht. Diesmal also: TAAT für zwei Ärmel.

Aber - was??? Zwei Ärmel gleichzeitig??? Das geht doch gar nicht!!!

Die Vorteile liegen natürlich klar auf der Hand. Nur einmal Maschen aufnehmen, das leidige Unterarmloch schließen und die Abnahmen verteilen.

Aus unerfindlichen Gründen konnte ich mir das aber einfach nicht vorstellen. Ich konnte, wie es auf Englisch so schön heißt, "meinen Kopf nicht drumherum wickeln". Man hat doch genug zu tun mit dem einen Ärmel - aufpassen, dass keine Masche abhaut, dass die leidigen Löcher beim Übergang verschwinden, dass die Abnahmen im richtigen Abstand erfolgen. Ich war ja richtig froh, als ich diesen Teil des Pulloverstrickens - top down, versteht sich - endlich verstanden hatte.

Dann aber kam das Thema in meinem neuen Lieblingspodcast Piece4Peace Crafting, den ich als neue Zuschauerin gerade von Beginn an nachverfolge, immer wieder vor. Lustigerweise sogar bei einem Pullover-Strickneuling. Na, dachte ich mir, wenn jemand, der bei einer einstelligen Zahl von fertigen Pullovern ist (merke: ich sehe den Podcast von Beginn an, aktuell Episode 5, mittlerweile sind es natürlich schon viel mehr Kleidungsstücke), dann muss ja was dran sein. Also mutig mein aktuelles Projekt als Versuchskaninchen vorgenommen.

Es handelt sich hierbei um ein Weihnachtsgeschenk für meinen werten Mitbewohner, der endlich wieder auf der Liste stand für einen Pullover.

Also, tief Luft geholt, in die Anleitung geblickt und einfach alle Anweisungen mit einer langen Rundstricknadel nacheinander wiederholt. Und siehe da, unglaublich aber wahr - es klappt.

Projekt: Weihnachtspullover, Anleitung: Single Malt (aufgepasst, Ravelry-Link)

Was wieder einmal beweist, dass es sich bei unserem Hobby eben nicht ums Bombenentschärfen handelt. Was soll denn auch groß passieren? Selbst wenn es ein paar Maschen vom Still-Lege-Faden nicht auf die Nadel schaffen, dann nimmt man sie halt später auf. Auch den Markierer für den Rundenbeginn kann man sich sparen, da beginnt ja die magic-loop-Runde, also kaum zu übersehen.

Und was soll ich sagen? Es klappt bestens und ich bin begeistert. Es hilft sogar beim Strickflow, weil man das Strickstück insgesamt nicht mehr so häufig hin- und herwenden muss, sondern in Ruhe erst einmal beide Rundenhälften abstrickt. Ich bin bekehrt!

Der einzige Nachteil, und den habe ich in meiner neuen messianischen Begeisterung wirklich nicht bedacht: ich stricke mit zwei zusammengehaltenen Fäden. Das heißt also für meine TAAT-Ärmel muss ich vier verschiedene Wickel-Bobbel managen. Und Nicht-Superwash-Garn hat ja so eine charmante Tendenz sich ineinander zu verwirren. Tja...

Aber solche Kleinigkeiten halten mich jetzt nicht mehr auf. Das Garn ist super und wie man sieht, fehlt ja nicht mehr viel. (Garn-Empfehlung: Frankenwolle aufgepasst, Ravelry-Link)

Es grüßt ein neuer Strickmensch. Ärmel, ich komme.

Samstag, 10. September 2022

Kapitel 175 - Fangirling

Ichauch, ichauch, ichauch!!! So müsste sich der verehrte Leser, die verehrte Leserin meine Wenigkeit vorstellen, bevor man sich in den Sommerurlaub verabschiedet hat.

Was war los? Na klar, nichts weniger als der endgültig gefasste Plan, auch mal das wieder stattfindende DÜSSELDORFER WOLLFEST zu besuchen. Man verzeihe an dieser Stelle die Großbuchstaben, aber die Aufregung war groß. Sehr groß!

Die Durchführung selbigen Planes war dann gar nicht so schwer, hatte sich die Familie doch für einen Urlaub in Mitteldeutschland entschieden. Wir waren in Magdeburg stationiert, also ging es nur einmal quer durchs Land hinüber. Mit der Bahn natürlich.

Tja, gebucht - geflucht, wie es so schön heißt. Der Zug endete überraschend in Duisburg mit 90 Minuten Verspätung und dem Bescheid: "Alles raus, sehn'Se mal zu, wie Sie selbst weiterkommen." Selten so gelacht!

Aber zum Glück war man ja im Urlaub und voller Vorfreude, da steckt man doch solche kleinen Widrigkeiten eher locker weg.

In Düsseldorf waren zum Glück die Zimmer noch reserviert und hatten eine sehr dringend notwendige funktionierende Dusche. Tro-pi-sche Temperaturen!

Dann, am selben Abend natürlich noch den Tatort ausspioniert, damit man am Morgen auch ja nicht zu spät kommt und sich womöglich noch verläuft. Nee, nee, gute Vorbereitung ist alles.

Das funktionierte so prächtig, dass wir am nächsten Morgen sogar einer Dame den Weg weisen konnten, die uns angesichts der eindeutig erkennbaren Strickbekleidung richtig als Wollfestbesucher identifiziert hatte und sich uns an der U-Bahn-Station bereits anschloss. Ich fürchte, sie war nicht so begeistert, als sie hörte, dass wir eigentlich aus dem tiefen Süden sind, denn sie brummelte ein bisschen ärgerlich, dass sie jetzt tatsächlich 'Auswärtige' um Orientierungshilfe bitten musste, wo sie selbst doch mal in Düsseldorf gewohnt hatte… Hierzu verkneife ich mir mal einen netten Kommentar. Das dazugehörige Grinsen aber nicht.

Jetzt nur noch 30 Minuten in der Warteschlange und in der Sonne brutzeln und dann aber nichts wie rein ins Vergnügen.

An dieser Stelle erfolgt jetzt kein detaillierter Bericht, diesen kann man sehr viel schöner und anschaulicher den diversen kompetenten Strick-YT-Helden und Heldinnen überlassen.

Aber soviel sei gesagt: nach der langen Vorfreude, der komplizierten Anreise, dem Anstehen und der Hitze war ich komplett erschlagen. Vom Angebot (riesig), den Menschen (Massen) und dem Wetter (tropisch).

Wie belämmert bin ich zwischen den Ständen hin und hergeeiert und wusste gar nicht mehr, was ich dort eigentlich wollte. Was hatte mich denn da geritten? Wolle im August?

Zum Glück gab's dagegen Kaffee und die hübschen Rheinterrassen, an denen man sich ein bisschen verschnaufen konnte. Wir haben uns für eine Weile ganz locker auf die Mauer gequetscht und erstmal die Beine baumeln lassen.

Bei der zweiten und dritten Runde hat sich dann die Einkaufsliste, die wir uns vorsorglich im Zug angelegt hatten, als hilfreich erwiesen. Tolle Wolle besorgt, Atmosphäre genossen, alles gut also.

Aber dann endlich das Highlight: Kiko live! Aus meinem Lieblingspodcast. Die mich schon seit der ersten Stunde zuverlässig montags positiv in die Woche starten lässt! Wie cool ist das denn?

Zuerst haben wir sie nur heimlich bewundert, schließlich will man den Leuten beim eigenen Bummeln nicht auf den Wecker gehen. Aber dann, am Stand der Grünen Socke, endlich doch angesprochen. Schließlich war ich vorbereitet und hatte auch ein paar Sockenpaare zum Abgeben mitgebracht.

Was für ein Fangirl-Moment! Sie hat sich Zeit genommen, hat ihr tolles neues Tuch gezeigt und wirklich ein bisschen mit uns über ihre Stricksachen geplaudert. Ich bin mehr als ein paar Zentimeter über dem Boden geschwebt. In echt.

Da konnte dann nicht mehr viel kommen.

Daher nur noch schnell eine hübsche Tuchnadel ausgesucht und dann Richtung Eisdiele aufgebrochen. Es war ein toller Tag!

Nächstes Jahr wieder? Mal sehen, mal sehen. Ich hab den Wetterbericht (und die Bahn) im Blick!


Mittwoch, 1. Juni 2022

Kapitel 174 - Ein Hoch auf den zweiten

Das Strickuniversum hat mehrere Mysterien für uns parat. Da gibt es zum einen die unterschiedlichen Stricker-Kategorien. Schon sehr früh, so heißt es, entscheidet sich, ob man ein Projekt-Stricker oder ein Prozess-Stricker ist. Strickt man also, um das verflixte Teil endlich anziehen zu können, oder strickt man, um die Welt und alle Ärgernisse darin im Maschenzählen einfach zu vergessen?

Ein mindestens ebenso verwurzelter Glauben ist die Tatsache, dass der zweite Socken oder der zweite Ärmel einfach nur SCHRECKLICH sind. Auf Englisch gibt es sogar den Begriff des Sleeve Island, also eine einsame Insel, die man nicht verlassen kann, weil ja am Pullover-Stricken die Ärmel den schlimmsten Teil darstellen, der am längsten dauert, weil man ihn am häufigsten aufschiebt. Und so weiter, und so weiter.

Beim Sockenstricken ist es natürlich die zweite Socken, die allen Unmut auf sich zieht und bei der das Stricken weniger aus Erholung, sondern vielmehr aus gähnender Langeweile besteht.

Auf diversen Kanälen werden diverse Litaneien zu diesem Thema heruntergebetet, wieder und wieder, sodass ich mich an dieser Stelle gerne mit einem positiven Perspektivenwechsel einschalten möchte.

Vorab natürlich - warum wird überhaupt so viel Zeit darauf verwendet, die schlechten Seiten des eigenen Hobbys zu beklagen? Das habe ich ja noch nie verstanden. Wahrscheinlich geht es dabei aber um ein ganz natürliches Gemeinschaftsgefühl. Wenn sich alle drüber beschweren, dann muss/will/darf ich ja wohl auch mitmachen.

Wichtiger ist mir aber die Gegenposition. Das Ganze speist sich gerade im Moment auch aus einer Beinahe-Fluchover-Erfahrung mit meinem letzten Pulli.

Zuerst wurde der Ärmel nach Anleitung gestrickt. Zu eng.

Dann wurde der Ärmel gerade heruntergestrickt. Überraschung - zu weit.

Dann endlich, ab Ellenbogen doch Abnahmen gearbeitet, was schließlich und endlich doch dazu führte, dass der Ärmel genau so geworden ist, wie er sein sollte und der Trägerin auch bestens gefällt. Der ganze Ärmel war also drei Mal fast komplett gestrickt worden, bis er endlich fertig war.

Und damit ab zum zweiten Ärmel.

Jetzt müsste also das große Jammern einsetzen. Wie langweilig. Wie lange dauert das denn noch, etc.

Aber mitnichten. Denn beim zweiten Ärmel entfaltet sich doch recht eigentlich wieder die Herrlichkeit eines entspannenden Hobbys. Schließlich hatte ich mir ja ausführliche Notizen zum ersten Versuch gemacht, genügend Maschenmarkierer in den Ärmel gesteckt und alle Reihen mitgezählt, sodass der zweite Ärmel Erholung pur war. Einfach nur die Reihen abhaken und schwupp-di-wupp war alles fertig.

Genau so ist es üblicherweise beim zweiten Socken. Vor allem dann, wenn eine neue Anleitung ausprobiert wird. Hat man beim ersten Mal noch Schwierigkeiten herauszufinden, wie das Muster am besten aufgeht, so geht alles beim zweiten Mal ganz flott von der Hand.

Deswegen würde ich, denke ich, auch niemals den zweiten Socken nicht direkt im Anschluss stricken. Wenn sich da ein Projekt dazwischen schiebt, dann stehe ich nämlich wieder am Anfang und weiß nicht mehr genau, wie ich's am Ende gemacht habe. Dann wird alles unter Umständen doch zum Albtraum.

Da ist es also, das Hoch auf den zweiten Ärmel, auf den zweiten Socken, etc. Die zweite Runde geht viel schneller als die erste und eh man sich's versieht, ist man schon fertig damit.

Wenn's doch aber gar nicht klappen will mit der Motivation, dann gibt es schließlich für die ganz Verzweifelten natürlich noch den ultimativen Überlebenstipp:

Bei allen ähnlichen Teilen: zwei Jackenvorderteile, zwei separat gestrickte Ärmel, etc. -> Immer gleichzeitig mit zwei Knäueln anschlagen. Dann sind erstens alle Abnahmen und Zunahmen mit Sicherheit in derselben Reihe und exakt gleich und zweitens am Ende auch beide Teile auf einmal fertig. Dann kann man sich die Jammerei erst recht sparen. Das ist doch was!

Montag, 25. April 2022

Kapitel 173 - Der Fluchover

Sieht unschuldig aus, hat es aber in sich: der Fluchover

Es heißt ja, es gebe diverse Heilige bzw. Gottheiten, deren einzige Aufgabe es ist, auf diejenigen Leute aufzupassen, die einem bestimmten Hobby frönen. Kaissa sorgt als Schachgöttin dafür, dass die Partie gewonnen wird, Petrus wird im Anglergruß um einen großen Fang gebeten. Da ist es natürlich auch durchaus möglich, dass es eine Strickgöttin gibt, die entweder wohlwollend oder strafend auf unsere Bemühungen blickt. Um das Ergebnis schon mal vorwegzunehmen: Ich glaube dran.

Wie bereits berichtet, versuche ich ja seit ein paar Jahren, diese Göttin milder zu stimmen, indem ich eine kleine Strickerin heranziehe, die auch bereits über beachtliche Fähigkeiten verfügt. Nur als zuletzt einen Pullover stricken wollte, hat mir die Strickgöttin offensichtlich aus irgendwelchen Gründen ihre Gunst entzogen.

Was war los?

Es begann mit einem traurigen Moment, dem man aber eine positive Seite abgewinnen konnte: unser lokaler Strickladen musste schließen. Da wird man also ganz traurig und rafft sich dann auf, um vielleicht das eine oder andere Schnäppchen zu erwischen. So auch meine kleine Strickerin. Ich hab ihr ein bisschen Geld gegeben, und sie durfte sich ganz allein aussuchen, was sie wollte. Sie kam zurück mit einem babyblauen schmuseweichen Teddygarn. Soweit so gut.

Es sollte ein Pullover werden, und zwar am liebsten ein Pullover mit Zöpfen. Naja, dachte ich, Zöpfe sind ja gut und schön, aber vielleicht nicht zu viele und auch mit einer schönen großen Nadelstärke, weil ein solches schmuseweiches Teddygarn ja überhaupt kein Spiel hat und sich kaum manipulieren lässt. Und schließlich sind ja Hinweise dieser Art durchaus Teil der Strickerziehung.

Also: zuerst eine Maschenprobe. Zur Not auch eine längere, damit man einige Nadelmöglichkeiten durchprobieren kann.

Soweit so gut.

Welche Anleitung? Auch kein Problem, dachte ich, wir versuchen wieder den genialen Raglanrechner von Thorsten Duit. Das hat bereits mehrfach geklappt, warum diesmal nicht.

Ja, warum eigentlich nicht?

Maschenprobe ausgezählt, der Rechner hat alles ausgerechnet und los ging's.

Erster Versuch: Ausschnitt viel zu klein. Und wenn man das Bündchen einfach weglässt? Trotzdem. Jedes Mal, wenn man den Pulli überwirft, säbelt man sich fast die Ohren ab. Geht leider so nicht. Bitte zurück auf Anfang.

Zweiter Versuch: Vorder- und Rückenteil sowie Ärmelmaschen markiert. Es geht los. Bitte aufpassen an den Raglanschrägen - hier sollen kleine Zöpfe hinkommen, deren Verzopfungsschema nicht mit den Raglanzunahmen korrespondiert. Aufpassen!




Wir spulen vor: Raglanzöpfe funktionieren, aber der dicke Zopf am Vorderteil wird plötzlich sehr fest und gar nicht mehr so locker wie in der Maschenprobe. Aha: auch der große Zopf am Vorderteil hat ein ganz eigenes Verzopfungsschema, auf das man achten sollte. So geht es leider auch nicht.

Diesmal Rettung durch eine Operation am offenen Herzen: also alle Zopfmaschen fallen lassen und nacheinander wieder - richtig verzopft - hochstricken. Hier lernt man Geduld und Durchhaltevermögen angesichts eines Herzschlags direkt im Hals. Eigentlich unglaublich, dass man das überleben kann.

Fußnote: Vor vielen Jahren habe ich einmal in YarnHarlots Blog über eine solche Zopf-Errettung gelesen und mir nur gedacht - die spinnt ja. Also auch hier die positive Seite: offensichtlich spinne ich inzwischen auch.

Dann, endlich der große Moment: Abtrennung von Ärmel und Körpermaschen. Jetzt kann man den Pullover auch wirklich anprobieren. Aber was stellt sich plötzlich heraus? Offensichtlich wurde ganz zu Beginn falsch gemessen oder die Maschenprobe hat sich heimlich verändert. Denn: der Pullover bedient eindeutig den Litfaß-Säulen-Look. Anders gesagt: in diesen Pullover passen meine kleine Strickerin sowie meine kleine Nichtstrickerin beide locker hinein. Geht also auch nicht.

An dieser Stelle des Abenteuers bekommt der Pulli den Titel Fluchover. Irgendetwas stimmt nicht. Das Projekt ist verflucht, die Strickgöttin verärgert und wir in der totalen Ungnade. Was tun?

Es hilft ja nichts. Dritter Versuch: alles wieder aufgetrennt und noch einmal neu begonnen. Und sogar noch einmal neu ausgerechnet. Schließlich hatten wir ja mit der fertigen Passe eine riesengroße Maschenprobe, die man doch bitteschön auch richtig auszählen kann.

Zur Belohnung gibt es den Neubeginn dann aber mit neuen Knäueln, weil ein zurückgeribbeltes Teddy-Schmusegarn sich nicht wirklich noch einmal so hübsch verstricken lässt.

Diesmal klappt die Raglanschräge, alle Zöpfe machen mit und auch die Ärmelabteilung klappt. Aber: der Körper hat immer noch viel zu viele Maschen. Warum, warum, warum? Da hilft nur eines: zügig abnehmen in den ersten Runden.


Was ich ja sonst vermeide wie die Pest, musste diesmal sein. Ich nahm meiner kleinen Dame das Strickzeug aus der Hand und strickte die ersten Runden selbst, bis man wieder bei einem vernünftigen Abnahmerhythmus angekommen war. Das wäre doch gelacht, wenn wir jetzt auf den letzten Metern aufgeben würden.

Und schließlich: der Pulli wurde doch fertig, er passt, er sieht gut aus und ist genau so geworden, wie die kleine Dame ihn geplant hatte.



Vielleicht war es also einfach eine (wirklich schwere) Prüfung der Strickgöttin?

In diesem Hause jedenfalls behält das gute Stück seinen Namen: es ist und bleibt der Fluchover. Hoffentlich löst ihn kein anderes Projekt jemals ab!