Dienstag, 15. Dezember 2015

Kapitel 126 - von der Verdrängung

Immer dann, wenn ich auf der Suche nach dem 'einen', dem 'bestimmten' Knäuel Wolle einer Farbe oder Qualität bin, von der ich weiß, dass ich es bestimmt noch irgendwo habe, und wenn ich dann meinen Boxenturm langsam aber sicher abgebaut und um mich herumgestellt habe, wird mir wieder klar, wie viele ungestrickte Kleidungsstücke und Decken da eigentlich noch lagern.
Als Stricker lebt man nämlich sozusagen in einer doppelten Verdrängung.

Zum einen sieht man ja seinen Wollvorrat täglich vor sich - also ich zumindest, dank durchsichtiger Boxen eines großen schwedischen Möbelunternehmens - man will sich aber meist gleichzeitig gar nicht so richtig klar darüber sein, wie viel das denn nun eigentlich ist. Denn das würde ja Rechenschaft bedeuten.

Noch schlimmer ist es, wenn ich vom Wollmarkt oder aus der Stadt nach Hause komme und meine Tüten wieder einmal 'nur mal schnell' auf den Boden stellen muss, weil ich auf die Schnelle gar keinen Platz in meinen Boxen finde. Zum wiederholten Male.

Sicherlich habe ich auch aus diesem Grunde so lange gewartet, bis  ich begonnen habe, meinen Stash bei Ravelry einzugeben. Ich wollte gar nicht so genau wissen, wie viel es denn insgesamt so ist - waaas? Schon 200? Vom Nachrechnen der Euros ganz zu schweigen.
Es gibt da sicherlich irgendwo die eine oder andere Box, die ich noch ausräumen und fotografieren müsste, damit das alles endlich seine Ordnung hat. Aber...muss ich das denn wirklich so genau wissen?

Ein Wollvorrat lebt doch auch irgendwie davon, dass man gar nicht mehr so genau weiß, welche Schätze darin verborgen sind. Ein bisschen so wie ein Bücherregal, das man erst wieder beim nächsten Umzug so richtig kennen lernt, wenn man die Bücher in die Hand nehmen muss und dann merkt, was man eigentlich schon alles mal (wieder) lesen wollte.
Genau so geht es mir, wenn ich mich so durch meine Kisten wühle. Ach ja, denke ich, hier liegt also die Puschelwolle, die ich für die Mütze der Damen verwenden wollte. Und hier liegt das besondere Sockengarn aus dem Urlaub, aus dem ein Schal werden soll. Da wird man auch gleich wieder kreativ und hat richtig Lust loszulegen.

Zum anderen ist es aber nun leider auch oft so, dass man trotz intensiver Suche genau das Garn, das man für das neue Projekt braucht, eben doch nicht findet. Man hat einen Wollschrank und nichts zum Stricken. Das kommt sogar noch häufiger vor, denn man plant ja seine neuen Projekte nicht danach, was man stricken könnte, sondern was man stricken möchte (oder muss, jetzt vor Weihnachten). Und wenn man dann nicht genügend von der richtigen Wolle hat, dann kann man das auch verdrängen.

Da hat man also eine Decke angefangen, sagen wir eine Decke mit Hexagons und die dazugehörige Wolle bestellt:



Dann legt man los und häkelt seine Hexagons fröhlich vor sich hin. Dank der Verbindungsmethode (JAYG = join as you go) wächst die Arbeit.


Funktioniert ganz ordentlich und macht Spaß. Die Decke entwickelt sich.



Tja, und jetzt kommt der Moment der Verdrängung. Man hat nicht richtig berechnet, wie viel von dem hellbraunen Umrandungsgarn benötigt werden für eine komplette Decke. Außerdem soll damit ja der Rand gehäkelt werden, dafür ist sicherlich noch einmal ein Knäuel nötig. Aber weil man eben ein Meister der Verdrängung ist, will man das nicht wahrhaben, bis man schließlich mit all den fertigen Fleckerln da sitzt und sich eingestehen muss, dass man es einfach nicht über sich bringt, neue Wolle zu bestellen.

Man hat ja schon sieben bis zehn knallvolle Kisten zu Hause, die ja doch nie leer werden, wenn man sich nicht endlich mal darum bemüht, auch wirklich mit der Wolle darin zu stricken.
Verdrängung der Notwendigkeit des Wollbedarfs.

Das kann schon mal ein paar Wochen dauern - weil man ja immer noch irgendein anderes Projekt auf einer Nadel hat, um das man sich kümmern kann.

Dann aber endlich: Kapitulation, Wollbestellung und das Projekt kann fertig gestellt werden:






Zum Glück ist man zufrieden, aber jetzt muss man ganz schnell wieder in die Kisten schauen, bevor man sich ein neues Projekt aussucht. Welches Kleidungsstück darf es denn als Nächstes sein?

Schnell, schnell, bevor man wieder eine andere Anleitung - ohne Wolle -  findet! Schnell!!!

2 Kommentare:

  1. Heieiei - echt, so viel hast du in Kisten versteckt? Mein (komplett) eingegebener Vorrat beträgt "nur" 173.... Es hat einen Vorteil, wenn alles in Ravelry eingegeben ist - man muss nicht dutzende Kartons durchwühlen, bis man das gewünschte findet. Aber meist hat man ja doch nicht, was man gerade braucht. Aber wenn man was hat, sollte man es verstricken - denn es ist doch schade um die ganzen Knäuel, die unverstrickt in der Kiste ihr dasein fristen, und nicht verstrickt gesehen und bewundert werden!

    LG
    Connie

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  2. ...ich liebe das !!!!!!!
    LOVE LOVE LOVE
    Gabi

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