Samstag, 29. April 2017

Kapitel 142 - die Jacke der Unendlichkeit bzw. eine Auferstehungsgeschichte

Es war einmal eine Strickerin, die nur Socken gestrickt hat. Kaum war ein Paar fertig, hat sie ein neues angeschlagen und das obwohl sie seitenweise schönste Jacken und Pullis in ihrem Herzchenarchiv gesammelt hat. Irgendwie kam ihr doch immer wieder das nächste Paar Socken dazwischen.

Das lag an Unkenntnis, an Angst, an dem Gefühl, der Unumkehrbarkeit wenn man mal eine Jacke versaut hat. All das Garn! Knäuel um Knäuel perdu, wenn's daneben geht. Kurzum, sie hat sich nicht getraut.

Gleichzeitig ist natürlich von Anfang an klar: wer's nicht probiert... Wie soll man denn eine sich nach oben neigende Lernkurve erreichen, wenn man nicht mal anfängt? Der Meister und der Himmel eben.

Viel Zureden später, von eigener und auch von prominenter Stelle (per Email - sehr nett), hat sie sich dann doch in das Abenteuer gestürzt, nur um - natürlich - völlig darin unterzugehen. 

Gewählt war ein Advanced Beginner Projekt, nämlich der Rowena Cardigan. Anleitung war ein Urlaubssouvenir, 





Garn war im Vorrat, 



Nadeln gab es sowieso, d.h. da konnte eigentlich nicht so viel schief gehen. Naja, zumindest finanzielle Verluste würden sich in Grenzen halten.

Also - Zettel hervorgekramt und losgestrickt:



Rückenteil fertig. Vorderteile fertig. Ärmel begonnen:


Ärmel sogar richtig gekennzeichnet:



Jetzt konnte eigentlich nicht mehr viel schiefgehen.

Aber was ist dann passiert? Das Übliche.

Andere, dringendere Projekte. Wünsche, Weihnachten, wichtige Aufträge. Tja, und dann geht auch noch die Wolle aus. Es fehlen ca. 2 Knäuel. Die gleiche Partie wird man ja doch nie nie nie wieder finden. Die Jacke landet mit den üblichen Gedanken in der Projekttasche:

"Ich weiß ja ganz genau, wo ich bin. Weitermachen ist gar kein Problem."
"Wenn ich erst die beiden restlichen Knäuel habe, dann geht's gleich wieder weiter."


Klingt alles gut und schön, aber jemand, der sich über Jahre auf Kurzprojekte spezialisiert hatte - Socken, Babysachen, Socken - tut sich gar nicht so leicht mit den langen Reihen eines solchen Projektes, und übrigens auch mit der Aufmerksamkeitsspanne, die einem da abverlangt wird.

Dazu kommen die Rüschen, die ja eigentlich das überzeugende Designelement dargestellt haben. Siehe noch einmal das Bild in groß:


Selbige Rüschen werden an die jeweiligen Jackenteile angestrickt (außer am Ausschnitt). Und dann kommt natürlich das Unvermeidliche: diese angestrickten Rüschen müssen bei Zusammenstellung der Jacke umgelegt und einzeln, Masche für Masche angenäht werden.

Wie war das nochmal mit der Aufmerksamkeitsspanne?

Aber der Reihe nach.

Das Projekt liegt also im Winterschlaf. Genau 18 Monate lang.

Dann wird es endlich doch wieder hervorgekramt. Einfach weil die beiden übrigen Knäuel in der richtigen Farbe gefunden und endlich doch bestellt worden sind. Und weil der richtige Neujahrsvorsatz: Weniger Ufos in diesem Jahr! dazu zwingt - im besten Sinne des Wortes. Auf geht's mit neuem Schwung!

Erstes Problem: die Randmasche. Es hat also offensichtlich doch einen Anstieg der Lernkurve gegeben in der Zwischenzeit, die Randmasche sieht mittlerweile völlig anders aus. Aber wie war nochmal die alte??? Na, das Problem lässt sich lösen.

Zweites Problem: die Partie. Das neue Garn sieht zweifellos etwas dunkler aus. Das ist nun wirklich ärgerlich. Aber auch hierfür gibt es eine Lösung. Brav war nämlich eine ausführliche Maschenprobe gefertigt worden, in verschiedenen Nadelstärken sogar, d.h. die Maschenprobe hat eine ordentliche Länge. Jetzt aber bald nicht mehr, denn hier wird flugs aufgetrennt und das Garn genügt, um den fehlenden zweiten Ärmel zu beenden.
Die Rüsche am Ausschnitt sowie die Knopflochblenden sind damit in ihrer Andersfarbigkeit einfach ein Designelement. Damit lässt sich leben.

Dann ist endlich alles gestrickt und abgekettet. Jetzt geht's ans Zusammennähen. Nicht nur die Raglannähte, die Ärmel und die Seitennähte, nein, auch noch alle Rüschen. Die neu aufgenommene und gestrickte Ausschnittrüsche sowie alle Rüschen an Ärmel und Jackenrand. Das klingt ganz nach dem Märchen mit dem durchlöcherten Löffel. Zum Verzweifeln und ganz ohne Hoffnung auf eine hilfreiche Zauberfee.

Aber Moment. Etwas kommt zu Hilfe! Eine ausgewachsene monstermäßige Supererkältung.
Dabei stehen zwar nur wenige Stunden am Tag für andere als liegende Tätigkeiten zur Verfügung, aber diese wenigen Stunden sind völlig unbrauchbar für irgendwelche anspruchsvollen Dinge, d.h. sie sind nahezu perfekt für meditative Näharbeiten, bei denen man jede einzelne Masche der Vorderseite mit genau einem Knubbel auf der Rückseite verbinden muss. Da geht es also los, das Schöpfen mit durchlöchertem Löffel.

Gleichzeitig wird immer wieder Katharina Buss'  Mantra aufgesagt: "Erst das richtige Zusammennähen macht aus einzelnen Strickteilen ein gut sitzendes Kleidungsstück."
Ab und an wird auch die Tatsache in Erinnerung gerufen, dass all das Nähen, so lange es auch dauert, insgesamt nie so viel Zeit in Anspruch nimmt, wie das Stricken zuvor. Das Stricken dauert immer länger.

Und schließlich zeigt all dieses Selbst-coaching Wirkung. Die Nähte werden kürzer. Der Faden reißt durch überambitioniertes Zusammennähen nur ein einziges einmal. Das Stück WIRD FERTIG!

Ab in die Schüssel mit herrlichem Olivenöl-Waschmittel und dann auf die Spannmatte:


Bei genauem Hinsehen sieht man die Farbabweichung an der Knopflochleiste, aber ehrlich? Das stört doch keinen großen Geist.

Gazebändchen ist gekauft, ebenso schöne Perlmuttknöpfe. Und die fünf Sticheleien, die kriegt man ja mit links hin.

Aber eins ist klar. Die nächsten fünf großangelegten Kleidungsprojekte sind ohne Nähte. Top-down, bottom-up, egal, Hauptsache am Stück. Eine solche Erkältung brauche ich so bald nicht wieder!





Donnerstag, 20. April 2017

Kapitel 141 - also ganz so düster sehe ich das nicht

Dies ist ein Diät-Post. Passend zum Frühling aber keiner der üblichen Sorte. Ich erlaube mir nämlich, ein paar Worte zu Martina Behms Anti-Diät-Aufruf zu verlieren.

Mit entschiedener Verve vorgetragen und amüsant zu lesen kann ich den Aufruf durchaus nachvollziehen, aber ich muss ihn nicht in voller Gänze teilen.

Also, ich teile natürlich die Grundannahme, dass man nur mit Garn stricken soll, das man auch mag, denn so lang ist das Leben tatsächlich nicht, dass man all die ererbte Kratze-Wolle und die womöglich selbst fehlgekaufte Wolle auch noch in Ruhe verstricken kann, aber: manchmal ist ein bisschen Beschränkung gar nicht so von Übel.

Ich bin jetzt kein Verfechter von grausligen Vielfarbprojekten, nur damit jeder Rest aufgebraucht wird, aber so ein bisschen Inspiration steckt doch in all diesen Ravelry-Gruppen, in denen es um den Wollrest geht (siehe auch RestEnd). Ich werde das Gefühl nicht los, dass es hier um die ehrenwerte Tatsache geht, eben nicht einfach etwas, was noch funktioniert, einfach zu entsorgen. Genau aus diesem Grund empfand ich ja die leidige Abwrackprämie als Hohn. Das waren zum Gutteil funktionierende Karren, die da verschrottet wurde. Da ist es nebenbei bemerkt, ja sehr amüsant, dass der Wikipedia-Artikel-Verfasser hier von einer Umweltprämie spricht. 

Einen Tag in der Woche die Reste der Küche zu verbrauchen halte ich für sinnvoller als jeden Tag übriges Essen wegzuwerfen. Das hilft ja doch den Ressourcen und sorgt dafür, dass insgesamt nicht so viel konsumiert werden muss.

So ähnlich ist es auch mit schöner Wolle. Feng Shui hin oder her, wenn die Wolle als großes Knäuel schön war, dann ist sie es auch als kleines Knäuel und man kann daraus noch etwas Hübsches zaubern, sei es eine Decke oder ein Babyschuh. Da macht man doch nix verkehrt und außerdem ist es ein schönes Gefühl. Alles verbraucht, nix weggeschmissen. Ressourcen mal wieder.

Beschränkung kann nämlich auch zu Kreativität führen. Wenn ich den genau richtigen Farbton nicht zu Hand habe, dann nehme ich eben einen anderen und komme damit auch zum Ziel, daran ist meiner Ansicht nach nichts auszusetzen. Manchmal ist es am Ende sogar hübscher mit dem anderen Farbton. Alles schon da gewesen.

Am wichtigsten ist aber mein Hinweis auf Projekte wie dasjenige der YarnHarlot, das ohne Wolldiät gar nicht funktionieren würde. Kaufe die Wolle (diesmal) nicht, suche dir stattdessen eine aus deinem Vorrat und spende stattdessen den zu erwartenden Betrag an die Guten wie sie es nennt: Ärzte ohne Grenzen. Cooles Projekt mit Rieseneffekt. Das würde gar nicht funktionieren ohne ein wenig Woll-Diät ab und zu.

Und dann ist da noch die Freude am Warten. Anders als eine Diät, bei der es ums Essen geht, die überhaupt sehr viel sinnvoller auf Englisch mit diet bezeichnet wird, was immer auch die gesamte Ernährung betrifft und bei der ich voll und ganz mit dem Post übereinstimme (frische Lebensmittel mit Freude gegessen), denke ich doch, dass es sich bei einer Wolldiät um etwas anderes handelt.

Wenn ich immer gleich alles kaufe, was ich sehe, dann kann ich mich gar nicht auf etwas hinfreuen. Oder gar auf etwas hinsparen. Da war mir Tichiros Post sehr lieb, in dem sie erzählt hat, dass sie immer dann, wenn etwas Geld übrig ist, dieses in Wolle investiert wird - in ihrem Fall natürlich in Yak von Lang Yarns.

Nun hat ja ein Normalsterblicher nicht immer gleich Geld übrig, daher ist es doch ganz schön, wenn man auf etwas hinspart. So sind schließlich auch die Modelleisenbahnliebhaber groß geworden. Wo wäre denn hier der Spaß, wenn sich jeder kleine Fan sofort ein Krokodil leisten könnte? Stattdessen hat man all sein Geburtstags- und Weihnachtsgeld mühsam gesammelt um sich dann endlich den langgehegten Wunsch erfüllen zu können. Es ist ja schließlich das eigene Hobby.

Na, und das ist doch der Hauptunterschied zum Essen oder nicht? Stricken ist unser Hobby. Und natürlich deshalb auch lebenswichtig für die geistige Gesundheit usw., aber in diesem Hobby ist es doch auch schön, sich mal was zu leisten, was man sich eben nicht jeden Tag leistet. Etwas Besonderes. Und zwar einfach, weil man zuvor eine Weile lang nicht alles gekauft hat, was man wollte.

Dann kann man auch das teure Souvenirgarn mitzunehmen, obwohl man es nicht unbedingt sofort braucht, einfach weil man sich eben in einem wohlverdienten Urlaub sprich in dem besonderen Strickladen, in den man sonst nicht kommt, befindet. Oder man kann sich eben selbst zu Weihnachten das teure Supergarn leisten, das sonst vielleicht nicht im Budget ist. Das ist doch dann eine besondere Freude, auf die man verzichten muss, wenn man sich einfach alles immer gleich kauft.

Es gibt nicht umsonst in der bayerischen Identität die so genannte Schmugeldkasse, in der jeder heimlich das Geld aufbewahrt, das er sich vom Budget/Gehalt etc. irgendwie abknapsen kann. Meine Schwiegermutter erarbeitet sich hier aus dem Haushaltsgeld im wahrsten Sinne des Wortes das Geld für das von ihr so geliebte Gmundener Porzellan. Kann man jetzt als altmodisch bezeichnen, funktioniert aber bestens und die Freude am Porzellan ist umso größer.

Ich sehe alles ein, die notwendige Inspiration und die Sockenwolle, die man einfach braucht. Aber die Vorfreude und das Gefühl aus gutem Grund mal so richtig Geld auszugeben - dies zwar sehr selten, aber immerhin doch ab und zu - darauf möchte ich nicht verzichten. Da lohnt sich doch eine Wolldiät, oder?


Sonntag, 16. April 2017

Kapitel 140 - ich habe fertig!

Melde mich als unglaublicher Nuvem-Überlebender! Das Ding ist tatsächlich fertig geworden und sieht so aus:

War aber auch eine schwere Geburt. Ich habe im August letzten Jahres ca. 10mal versucht, es anzuschlagen und dann endlich im Schweiße meines Angesichts mittels Zettel und Zehnerstricheln das Wunder vollbracht alle Maschen auf der Nadel zu haben.

Das Garn ist superfeines Lacegarn von Juniper Moon in der hübschen Farbe Uncial - und zwar drei Knäuel. Ist grau, aber ein sehr hübsches Grau.

Nachdem man den Anschlag geschafft hat, ist das Projekt zum Glück genau so, wie versprochen, nämlich sehr einfach. Eine Runde mit Zunahmen eine Runde ohne Zunahmen, da macht man nix falsch und es geht fröhlich dahin. Naja, so lange eben, bis einem das ewige Rechtsstricken ein wenig auf die Nerven geht und man etwas anderes anschlagen muss.

Bei mir ging die Sache durch zwei Knäuel hindurch recht gut. Ich habe mich mit dicker Nadel durch dünnes Lacegarn gekämpft, d.h. auch langsamer gestrickt als üblich, denn hier durfte ja auf keinen Fall etwas passieren, so eine verlorene Masche in diesem Riesending fange ich ja nie wieder auf!
Außerdem sitzt einem ständig die Angst auf der Schulter, das dünne Lacegarn würde womöglich reißen und ohjemine, was soll ich denn dann anfangen, wie alles vernähen? Hilfe!

Man sieht unschwer, dass ich ein blutiger Lace-Anfänger bin. Aber das war ja auch der Sinn der Übung, dass ich hier ein wenig die Scheu verliere - bei einem Projekt, bei dem man nicht viel falsch machen kann. Es geht eben wieder um die Lernkurve und darum, etwas Neues zu schaffen. Na und diese Mission wird hiervon voll und ganz erfüllt.

Im Zuge der Vollständigkeit habe ich auch die Maschenzahl der letzten Runden gezählt, also die Rüschenmaschen. Das scheint so üblich zu sein und da hab ich mich eben auch anstecken lassen.

Vermelde also: bei mir die unglaubliche Zahl von 2567. Da schafft man am Abend eine Runde wenn's hoch kommt und dann geht's erst morgen weiter. Soviel zum Thema Motivation.


Es gibt ja einige Projekte, die hier statt einer Rüsche ein ganz normales Bündchen stricken, aber mein Garn ist so fein gewesen, dass es die Rüsche ganz gut vertragen hat. Obwohl ich sagen muss, dass so ein farblich abgesetztes Bündchen doch was hat. Keine üble Idee.

In einem einigermaßen vertretbaren Tempo habe ich zwei Knäuel Wolle verstrickt, nur um dann einen wirklichen Einbruch zu erleiden. Es ging nichts mehr voran. Eine Runde dauerte schon ewig und ganz ehrlich? Wird dieses Ding überhaupt jemals fertig? Wird das Knäuel überhaupt kleiner? So wie's aussieht eigentlich nicht. 

Ich habe alles probiert. Meinen besonderen Knäuelhalter hervorgekramt (im Bild oben):


Die Runden abgehakt, damit ich einen Beweis habe, dass etwas vorangeht. Den Trick mit dem Restgarn angewendet, das hoffentlich Runde für Runde ein wenig nach unten rutscht. Nichts hat geholfen.

Da kam mir zum Glück Rossmann zu Hilfe, denn die hatten dies hier im Angebot:

Jawoll. Das ist eine Küchenwaage. Gar nicht mal so teuer und mit der genialen Einrichtung in 1-Gramm-Schritten zu wiegen.

Nichts wie hin. Damit war das Ende meines Nuvem nun wieder eine ganz andere Sache. Restgarn wiegen. Eine Runde stricken, Garn nochmal wiegen und sieh mal an - eine Runde verbraucht bei mir 5 Gramm.

Damit konnte ich ganz perfekt zu den genannten 10% des Garns stricken, bei dem die Rüsche begonnen werden soll. Dann wieder das Garn pro Runde per Wiegen ermitteln und man kann so lange stricken, bis tatsächlich das gesamte Garn im Projekt verschwunden ist. Genial!

Am Schluss allerdings hätte ich noch etwas mehr schaffen können. Eine Runde gab's zu 5g und die Abkettrunde sollte laut Anleitung mit einer viel größeren Nadel gemacht werden, also bin ich davon ausgegangen, dass hier deutlich mehr Garn verbraucht wird. Habe die letzte Runde also früher begonnen und jetzt 8g übrig. Merke: das Abketten mit einer 7mm Nadel braucht eigentlich nicht mehr Garn als das Stricken mit einer 3,5mm Nadel. Lessons learnt.

Und was kommt jetzt? Na klar, jetzt ist der Bann gebrochen. Das muss ja wohl ein Hitchhiker werden. Das drei milliardenste Projekt.  Die beiden Damen wünschen es so, und da ist man nunmal machtlos. ;-)