Montag, 27. September 2021

Kapitel 167 - weg mit dem Mythos!

Seit langem hat sich in der Strickwelt eine Sache als absolute und vor allem hartnäckige Wahrheit etabliert. Sogar ganze Designerriegen widmen sich nur diesem Thema:

>>Die rechte Masche ist die einzig wahre Masche!<<

Offensichtlich ist alles andere, was man stricken könnte, nicht der Rede wert, zu kompliziert, nicht entspannend genug.


Nein, es gilt nur: möglichst viele, möglichst alle Maschen eines Strickstücks müssen rechts sein.


Der Bösewicht in dieser Geschichte ist natürlich auch schnell ausgemacht: die perfide linke Masche, die niemand mag, die niemand stricken will, die überhaupt augenblicklich einen Stress sondersgleichen in den Fingern und in den Anleitungen auslöst.


"Hilfe, linke Maschen", hört man allenthalben, oder "Hurra, keine linken Maschen."


(ein bisschen, und das sei nur am Rande bemerkt, erinnern mich diese Rufe an das Geschrei um die zu vernähenden Enden. Aber hierzu habe ich mich ja schon diverse Male meinen kleinen Senf beigetragen ;-)


Das ist natürlich interessant, denke ich mir. Stricken ist eine so komplexe Angelegenheit und hat so viele interessante Techniken über die Jahrhunderte und den gesamten Globus hervorgebracht, dass es doch wirklich schade erscheint, diese nicht auch zu verwenden.


Dabei ist mir natürlich vollkommen klar, dass sehr viele Menschen das Stricken für andere Zwecke verwenden und auch dafür brauchen. Man therapiert sich, man meditiert oder man schaltet die Welt um sich herum einfach für eine Weile völlig aus. Hat alles seine Berechtigung.


Aber ich habe jetzt Wochen um Wochen mit der rechten Masche in diversen Projekten verbracht, und ich sage: Schluss damit!


Ich kann nicht mehr! Mein Widerwillen, einen zweiten Ärmel zu stricken (und manchmal auch einen ersten), der ja - mal ehrlich - nichts anderes ist als ein überdimensionierter Sockenschlauch, ist kaum zu überwinden.


Das ist sooo langweilig. Und man kommt überhaupt nicht voran!

Kein Wunder, dass alle so begeistert von Streifenwolle sind. Da ist der progress keeper, der auch Glückshängerchen heißen könnte, quasi schon ins Projekt eingebaut.


Ich sage: weg mit dem Mythos! Die rechte Masche ist auf Dauer einfach nervtötend! Jaja, es geht schnell, aber es geht eben auch schnell auf den Senkel!


Eins ist klar: mein nächstes Projekt wird ein völlig überladener Zopfmusterpulli. Aber sowas von.

Montag, 20. September 2021

Kapitel 166 - Von der Evolution

Einer der schönsten Nebeneffekte unseres kreativen Hobbys ist die Beobachtung der eigenen Veränderung.

Es ist ja nun kein Geheimnis, dass ich mich lange in der Sockenecke getummelt habe und von dort aus nur wenige zaghafte Ausflüge zu Mützen, Schals und Handschuhen unternommen habe. Und "lange" bedeutet wirklich lange. Wir sprechen hier von Jahren, aber eben auch von Socken in allen möglichen Formen und Farben: toe-up, top-down, Jacquard, Ajour, Zopfmuster, etc., etc.


Es hat also ganze Weile gedauert, bis ich mich an Pullis herangetraut habe. Da hat es - leider - auch nichts geholfen, dass genügend Unterstützung da gewesen wäre. Wenn man sich irgendwie nicht traut, dann klappt's eben nicht.


Die Gründe waren aber natürlich auch nicht von der Hand zu weisen:

Was ist, wenn's nicht passt?

Was ist, wenn ich es anders will?

Was ist, wenn das Garn sich nicht mehr auftrennen lässt?


Wenn man weniger Zuversicht und eben auch weniger Wissen hat, dann scheut man die Ausgaben für eine Pullovermenge durchaus. Bei einem Paar Socken, das nix wird, hat man nur ca. €10,- in den Sand gesetzt. Und nicht womöglich das Zehnfache.


Mittlerweile ist der Schritt zur Oberbekleidung bekanntermaßen vollzogen und während ich einen Pulli stricke, habe ich im Kopf schon den nächsten angeschlagen.


Soweit, so gut also. 


Natürlich ist es aber immer noch so, dass auch Pullover manchmal nichts werden. Entweder, man hat die Anleitung nicht ganz kapiert, oder die Anleitung passt nicht zur eigenen Art des Strickens oder die Anleitung und die Wolle gehen nicht zusammen.


Ein paar Änderungen traue ich mir mittlerweile selbst vorzunehmen, andere lasse ich dann eben sein. Und wie bereits schon mehrfach erwähnt: diejenigen Ungenauigkeiten, die man vom galoppierenden Pferd aus nicht sieht? Die stören mich nicht.


Und genau diese Auffassung betrifft die neue Veränderung. Es gibt offensichtlich Dinge, die doch stören. Und wie!


Gehen wir ein paar Jahre zurück, zum Hype um das Soldotna Crop. Hat jeder gestrickt, völlig klar, und damit auch ich.


Das erste Problem, die Länge, war leicht zu regeln. So viel Erfahrung war schon vorhanden, dass ich gemerkt habe, die super-cropped Länge ist nix für mich und meine Figur, da geht noch was.


Das zweite Problem, das sehr bald nach Erscheinen der Anleitung in der Strickwelt kursierte - der enge Halsausschnitt - war weniger leicht zu kurieren.


Aber man hat ja nicht umsonst verschiedene Bewältigungsstrategien zur Hand:

  1. das galoppierende Pferd (s.o.)
  2. die Verdrängung
  3. die Gewöhnung


Und genau an dieser Stelle folgt der evolutionäre Schritt, den ich zu meiner eigenen Begeisterung vollzogen zu haben scheine. Der Halsausschnitt nervt mich. Er nervt total! Also: weg damit!


Obwohl das bei einem top-down Pulli natürlich ein bisschen umständlich ist, geht es eben doch. Auftrennen, Maschen aufnehmen und mit einer höheren Maschenzahl wieder abketten. Passt.



Zurück zum ersten Problem. Auch die von mir bereits angefügten Zentimeter sind noch nicht genug, der Pulli einfach nicht lang genug. Also neu ausgemessen, Bündchen aufgemacht und Maschen wieder aufgenommen. Ich stricke jetzt bis zum Hüftknochen, basta.



Was für ein evolutionärer Schritt und vor allem: was für eine innerliche Befreiung!!! Eine Anleitung, auch die einer namhaften Designerin, ist nur ein Vorschlag. "Ich bin der Boss meines eigenen Projekts", wie Elizabeth Zimmermann ja schon immer wusste!


Mit diesem neu gewonnenen Selbstbewusstsein werde ich mich jetzt gleich an mein ältestes Nerv-Stück wagen, eine Jacke aus einem Volkshochschulkurs zum Thema 'Kleidungsstücke top-down gestrickt'.



Coole Sache, zum ersten Mal von oben im Stück gestrickt. Aber: die mit verkürzten Reihen von oben eingestrickte Armkugel war nie so, wie ich es mir gewünscht hätte. Art der Jacke, Muster, alles zu verbessern. Außerdem und extra nervig - die rechte Seite sieht anders aus als die linke. Bäh!




Nicht mehr mit mir!


Jetzt geht es mit mir und dem evolutionierten Ich direkt zurück zu den Knäueln. Und mit denen stricke ich dann die Jacke meiner Träume.


Völlig klar!


Sonntag, 5. September 2021

Kapitel 165 - Analog versus digital

Morgen? Morgen bin ich dran? Habe ich wirklich 'morgen' gesagt in meinem letzten Beitrag? Ich denke schon.

Aber wie meine Schwiegermutter schon immer sagte - und auch ich hier schon mehr als einmal geschrieben habe - "plane nicht im Vorhinaus - es wird nichts draus."


Was ist also passiert?

Eigentlich ganz einfach. Eines Abends spät hat mir ein Blick auf den Internet-Router kein einziges Blinklichtlein angezeigt. Das Umstecken auf eine andere Stromquelle brachte nichts - der Router war komplett hinüber.


Und damit das Internet weg.


Vom Kundendienst der Telekom will ich hier gar nicht reden, jeder kann sich vorstellen, wie es ist, wenn man 15 Leuten quer durch Deutschland nachtelefoniert und kein einziger weiß, was der andere schon veranlasst hat. Allein meine im System gespeicherte Handynummer ist über 20 Jahre alt und wurde schon von mehr als fünf Mitarbeitern geändert, inklusive dem Mann im Telekomshop. Alles umsonst. Wie ein Phoenix aus der Asche taucht immer wieder die alte Nummer auf, auf der mich natürlich niemand erreichen kann.


Aber genug davon. Die Prognose war: Kabel im Boden kaputt (Blitzschlag), der Bautrupp muss kommen und alles reparieren. Geschätzte Dauer der Aktion: 14 Tage.


Kleine Fußnote dazwischen: der schnell verschickte so genannte Funkwürfel, der für Internetzugang in der Zwischenzeit sorgen sollte, hat natürlich nicht funktioniert. Siehe Kundenberater oben.


Nach dem ersten Schock hat man sich also notdürftig damit abfinden müssen. Das ist jetzt 'die' Gelegenheit für das Aufräumen des Kellers, und schließlich - man hat ja noch sein Strickzeug.


Damit werden doch die einsamen Abende zu füllen sein.


Aber, und das war die große Überraschung für mich, das ist gar nicht so einfach.


Wenn man sich freiwillig in eine digitale Pause begibt, so habe ich gemerkt, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn man sozusagen vom System gezwungen wird.


Mir war auch gar nicht bewusst zuvor, wie sehr ich von der Inspiration im Internet abhängig bin. Wie mich alle Blogs und Podcasts, die ich verfolge, beeinflussen und sei es nur als Fenster in die große Welt des Strickens.


Denn natürlich ist mir klar, dass Stricken am Ende ein einsames Hobby ist und schon viele Jahrhunderte lang von Menschen alleine zu Hause gepflegt worden ist. Jeder einzelne Maschenstich muss alleine ausgeführt werden.


Aber genau das ist es eben, warum das Internet so besonders gut zu unserem Hobby passt. Dadurch können wir sehen und erleben, dass wir nicht alleine sind.


Wir sehen andere Leute, wir sehen andere Garne, wir sehen Anleitungen, die wir selbst gar nicht gefunden oder gestrickt hätten, weil wir so eingefahren in unseren Mustern und Projekten sind.


Im Ergebnis habe ich in den gut 15 Tagen bis der Bautrupp kam, fast überhaupt nichts gestrickt. Mein Mojo war weg.


Sogar Filme ohne Strickzeug in der Hand kamen vor, normalerweise ein Ding der Unmöglichkeit. Ich konnte mich gar nicht aufraffen zu stricken.


(Naja, vielleicht hat mich das viele Räumen im Keller auch besonders müde gemacht.)


Aber wie dem auch sei, kaum waren die Helden mit Schaufeln und Messgerät da gewesen, ging es wieder aufwärts.


Sogar das Sockengarn wurde wieder durchgesehen, ob nicht doch wieder ein Film- und Fernsehprojekt locken könnte.


Natürlich hat am Ende ein Blick auf meine Podcast-Liste gezeigt, dass ich gar nicht so viel verpasst habe, wie ich dachte, aber du meine Güte - bin ich froh, dass ich mir alles wieder selbst einteilen kann.


Und einen Pulli habe ich auch neu angeschlagen:


Ein RVO aus Resten in der GumGum-Socken-Methode.


Es geht wieder aufwärts und der Strickherbst kann kommen!