Es heißt ja, es gebe diverse Heilige bzw. Gottheiten, deren einzige Aufgabe es ist, auf diejenigen Leute aufzupassen, die einem bestimmten Hobby frönen. Kaissa sorgt als Schachgöttin dafür, dass die Partie gewonnen wird, Petrus wird im Anglergruß um einen großen Fang gebeten. Da ist es natürlich auch durchaus möglich, dass es eine Strickgöttin gibt, die entweder wohlwollend oder strafend auf unsere Bemühungen blickt. Um das Ergebnis schon mal vorwegzunehmen: Ich glaube dran.
Wie bereits berichtet, versuche ich ja seit ein paar Jahren, diese Göttin milder zu stimmen, indem ich eine kleine Strickerin heranziehe, die auch bereits über beachtliche Fähigkeiten verfügt. Nur als zuletzt einen Pullover stricken wollte, hat mir die Strickgöttin offensichtlich aus irgendwelchen Gründen ihre Gunst entzogen.
Was war los?
Es begann mit einem traurigen Moment, dem man aber eine positive Seite abgewinnen konnte: unser lokaler Strickladen musste schließen. Da wird man also ganz traurig und rafft sich dann auf, um vielleicht das eine oder andere Schnäppchen zu erwischen. So auch meine kleine Strickerin. Ich hab ihr ein bisschen Geld gegeben, und sie durfte sich ganz allein aussuchen, was sie wollte. Sie kam zurück mit einem babyblauen schmuseweichen Teddygarn. Soweit so gut.
Es sollte ein Pullover werden, und zwar am liebsten ein Pullover mit Zöpfen. Naja, dachte ich, Zöpfe sind ja gut und schön, aber vielleicht nicht zu viele und auch mit einer schönen großen Nadelstärke, weil ein solches schmuseweiches Teddygarn ja überhaupt kein Spiel hat und sich kaum manipulieren lässt. Und schließlich sind ja Hinweise dieser Art durchaus Teil der Strickerziehung.
Also: zuerst eine Maschenprobe. Zur Not auch eine längere, damit man einige Nadelmöglichkeiten durchprobieren kann.
Soweit so gut.
Welche Anleitung? Auch kein Problem, dachte ich, wir versuchen wieder den genialen Raglanrechner von Thorsten Duit. Das hat bereits mehrfach geklappt, warum diesmal nicht.
Ja, warum eigentlich nicht?
Maschenprobe ausgezählt, der Rechner hat alles ausgerechnet und los ging's.
Erster Versuch: Ausschnitt viel zu klein. Und wenn man das Bündchen einfach weglässt? Trotzdem. Jedes Mal, wenn man den Pulli überwirft, säbelt man sich fast die Ohren ab. Geht leider so nicht. Bitte zurück auf Anfang.
Zweiter Versuch: Vorder- und Rückenteil sowie Ärmelmaschen markiert. Es geht los. Bitte aufpassen an den Raglanschrägen - hier sollen kleine Zöpfe hinkommen, deren Verzopfungsschema nicht mit den Raglanzunahmen korrespondiert. Aufpassen!
Wir spulen vor: Raglanzöpfe funktionieren, aber der dicke Zopf am Vorderteil wird plötzlich sehr fest und gar nicht mehr so locker wie in der Maschenprobe. Aha: auch der große Zopf am Vorderteil hat ein ganz eigenes Verzopfungsschema, auf das man achten sollte. So geht es leider auch nicht.
Diesmal Rettung durch eine Operation am offenen Herzen: also alle Zopfmaschen fallen lassen und nacheinander wieder - richtig verzopft - hochstricken. Hier lernt man Geduld und Durchhaltevermögen angesichts eines Herzschlags direkt im Hals. Eigentlich unglaublich, dass man das überleben kann.
Fußnote: Vor vielen Jahren habe ich einmal in YarnHarlots Blog über eine solche Zopf-Errettung gelesen und mir nur gedacht - die spinnt ja. Also auch hier die positive Seite: offensichtlich spinne ich inzwischen auch.
Dann, endlich der große Moment: Abtrennung von Ärmel und Körpermaschen. Jetzt kann man den Pullover auch wirklich anprobieren. Aber was stellt sich plötzlich heraus? Offensichtlich wurde ganz zu Beginn falsch gemessen oder die Maschenprobe hat sich heimlich verändert. Denn: der Pullover bedient eindeutig den Litfaß-Säulen-Look. Anders gesagt: in diesen Pullover passen meine kleine Strickerin sowie meine kleine Nichtstrickerin beide locker hinein. Geht also auch nicht.
An dieser Stelle des Abenteuers bekommt der Pulli den Titel Fluchover. Irgendetwas stimmt nicht. Das Projekt ist verflucht, die Strickgöttin verärgert und wir in der totalen Ungnade. Was tun?
Es hilft ja nichts. Dritter Versuch: alles wieder aufgetrennt und noch einmal neu begonnen. Und sogar noch einmal neu ausgerechnet. Schließlich hatten wir ja mit der fertigen Passe eine riesengroße Maschenprobe, die man doch bitteschön auch richtig auszählen kann.
Zur Belohnung gibt es den Neubeginn dann aber mit neuen Knäueln, weil ein zurückgeribbeltes Teddy-Schmusegarn sich nicht wirklich noch einmal so hübsch verstricken lässt.
Diesmal klappt die Raglanschräge, alle Zöpfe machen mit und auch die Ärmelabteilung klappt. Aber: der Körper hat immer noch viel zu viele Maschen. Warum, warum, warum? Da hilft nur eines: zügig abnehmen in den ersten Runden.
Was ich ja sonst vermeide wie die Pest, musste diesmal sein. Ich nahm meiner kleinen Dame das Strickzeug aus der Hand und strickte die ersten Runden selbst, bis man wieder bei einem vernünftigen Abnahmerhythmus angekommen war. Das wäre doch gelacht, wenn wir jetzt auf den letzten Metern aufgeben würden.
Und schließlich: der Pulli wurde doch fertig, er passt, er sieht gut aus und ist genau so geworden, wie die kleine Dame ihn geplant hatte.
Vielleicht war es also einfach eine (wirklich schwere) Prüfung der Strickgöttin?
In diesem Hause jedenfalls behält das gute Stück seinen Namen: es ist und bleibt der Fluchover. Hoffentlich löst ihn kein anderes Projekt jemals ab!