Montag, 28. September 2015

Kapitel 122 - von der Zeitlupe

Stricken ist doch eigentlich mein Hobby.
Das hab ich jedenfalls gedacht. Ich liebe das Stricken. Wenn ein Tag vergeht, an dem ich keine Zeit dafür habe, dann ärgere ich mich. Es gibt Tage, an denen ich es kaum erwarten kann, von der Arbeit heimzukommen, um die nächste Reihe in Angriff zu nehmen. Ich hab schon die halbe Nacht 'nur noch eine Runde' gestrickt, weil ich sehen wollte, wie sich das Jacquardmuster denn nun in der von mir gewählten Farbe macht.
Und genau aus dem Grund bin ich immer völlig unvorbereitet, wenn mich der Fluch der Zeitlupe trifft. Wenn ich also an irgendetwas arbeite, das sich im Laufe des Strickens als ein Vorgeschmack auf die Ewigkeit entpuppt.

Also, man schlägt voller Vorfreude etwas an, sagen wir einen Schal.


Hierbei handelt es sich um zwei verschiedene Sockenwollstärken, die in einem Mustersatz von jeweils vier Reihen abwechselnd miteinander verstrickt werden. Muster von hier. Dieses Pfauenschweifmuster ist gerade mit verschiedenen Streifen ganz besonders hübsch, finde ich.
Meine Wolle ist von etherische-oele, ein Mitbringsel vom Wollmarkt Vaterstetten.

Ich hab es auch deshalb gewählt, weil ich damit endlich einen Socken wieder verschwinden lassen konnte, den ich umsonst gestrickt hatte. War zu musterlastig für das bunte Garn.
Dann schon lieber einen bunten Schal, dachte ich mir.


OK, am Anfang ist man motiviert und strickt fröhlich vor sich hin. Wenn man alle vier Reihen die Farbe wechselt, wird einem ja auch nicht langweilig. Und das Muster lässt sich auch gut an, das wird ein schöner Winterschal.


Dachte ich.

Denn vier Reihen in Sockenwollstärke sind einfach vier verdammt dünne Reihen. Und egal wie viele Farbwechsel man schafft - im Auto, in der S-Bahn oder vorm Fernseher - am Ende ist man nicht weit gekommen.

Tja, ich hab's ja gesagt. Der Fluch der Zeitlupe. Er trifft einen immer unvorbereitet. Man strickt und strickt und strickt und kommt keinen Zentimeter voran. Keinen einzigen!

Was an und für sich ja ein wahres Wunder ist, denn man wechselt ja immer noch alle vier Reihen die Farbe und ein Farbwechsel macht so ungefähr einen halben Zentimeter aus, das wären also bei vier geschafften Farbwechseln dann doch endlich mal zwei Zentimeter beispielsweise, aber das Ding wächst nicht.

Bzw. die Knäuel werden einfach nicht kleiner! Wie habe ich den Tag herbeigesehnt, an dem ich endlich den Socken verstrickt hatte. (Ich hatte mir das Auftrennen und Aufwickeln gespart und stattdessen das Aufgetrennte gleich verstrickt).

Der Schal kam mit in den Urlaub. Eine Fahrt nach England dauert ja, mit Fähre und allem drum und dran, da ist man eine Weile unterwegs. Da geht schon was.

Dachte ich.

Ich hab am Strand gestrickt. Im Ferienhaus. Wieder im Auto. Es geht so zäääääh!!!


In meiner Verzweiflung hab ich eines Abends im Ferienhaus die Küchenwaage aus der Verpackung geholt, um nachzuprüfen, ob ich denn nun endlich mal wenigstens unter die 50%-Marke gefallen war. Ich war! Die Waage zeigte unter 50g an und ich muss sagen, ich war selten so erleichtert!

Dabei stricke ich wirklich gerne und auch dieses Muster geht eigentlich flott von der Hand. Und es gibt ja diese Farbwechsel....

Aber 200g Sockenwolle wollen eben mit Nadel 3,25mm auch erst einmal verstrickt werden.

Der Schal kam dann aus dem Urlaub wieder mit nach Hause. Immer noch nicht fertig. Warum ich mir all die Mühe gemacht habe, unterschiedliche Strickprojekte einzupacken, kann ich heute gar nicht mehr verstehen.

Schließlich erreicht man den Punkt, an dem man das Ganze zu Ende bringt, koste es was es wolle! Die Maschen werden mit einer Verbissenheit gestrickt, die man sonst nur ganz selten bei Putzattacken erlebt (angebrannte Vanillesoße im Lieblingstopf fällt mir dazu ein).

Wie war das nochmal? Ich stricke, weil es mich entspannen soll? Nee, das mache ich jetzt fertig und.wenn.ich.da.bei.drauf.geh!

Zum Glück: es klappt. Irgendwann ist dann das letzte Gramm verstrickt und man kann abketten. Der Winter kann kommen.



 Bis dahin stricke ich aber nur noch Mützen.






Freitag, 18. September 2015

Kapitel 121 - in dem ich einen Gruß nach Hamburg schicke

Kaum ist es kühler, kann ich's auch wieder vor dem Computer aushalten. Endlich!

Aber im Ernst, ich bin nicht gemacht für diese Hitze, bin auch dieses Jahr wieder mit den Damen in den Ferien in Richtung breezier climes aufgebrochen und musste im Urlaub dann dieses hinnehmen:



Das ist, ganz richtig gesehen, strahlender Sonnenschein am Meer. Aber den Damen hat's gefallen, wie man an dem kleinen Seehundkopf sehen kann (das ist natürlich kein Seehund, sondern ein kleines Fräulein am Planschen).

Und es gibt auch wieder ein Pier - dieses Mal in Worthing.



Aber stricken kann ich zum Glück immer und überall:



Weshalb ich hier voller Freude und auch ein bisschen stolz verkünden kann, dass ich meinen Pulli fertig gestrickt habe. Fix und fertig vernäht, gewaschen, getrocknet und getragen. Und so sieht er aus:



Wie man sehen kann, musste ich am Ende etwas kreativer mit meinen Farben umgehen, als ich das eigentlich vorhatte, aber mir ist das Türkis komplett ausgegangen. Völlig unerwartet natürlich, denn ich hab mir die verwendete Meterzahl aus der Anleitung abgeschrieben (Under the Hoodie von Kristin Spurkland) und dann auf meine Wolle umgerechnet (Wollzauber von Junghans).

So sollte es jedenfalls funktionieren, glaubte ich mich zu erinnern. Dabei ist mir natürlich auch wieder eingefallen, warum ich so lange beim Sockenstricken geblieben bin. Ganz einfach - diese Probleme gibt's nicht. Ein Knäuel reicht bis Größe 43. Fertich.

Womit wir nun endlich bei Hamburg angelangt sind. Mein Gruß gilt natürlich Tichiro. Also Tina aus Hamburg (unbekannterweise, versteht sich, wir wohnen schließlich Hunderte von Kilometern auseinander). Und zwar ganz einfach deshalb, weil ich mich an diesen Pulli auch nur deshalb herangetraut habe, weil sie mir mit ihrem Esprit und ihrer Laune am Pulloverstricken richtig Mut gemacht hat. Sogar in einer persönlichen E-Mail auf einen Kommentar von mir hin: 'Einfach anfangen', hat sie da geschrieben. Und genau so war's! Vielen herzlichen Dank dafür!

Mir war natürlich schon klar, dass ich nicht gleich wie ein Riesenmeister würde konfektionieren und umrechnen können, aber es geht eben doch irgendwie. Und Hilfe kann man sich ja tatsächlich holen, von woher auch immer.

Ich habe mir also nach meiner Maschenprobe die Stitch Ratio ausgerechnet - also wie sich mein Garn zum vorgeschlagenen Garn verhält und dann die jeweiligen Maschenangaben damit multipliziert.
Das funktioniert folgendermaßen:
Die Anleitung gibt auf 10cm 25M/32R an. Meine Maschenprobe ergibt aber 23M/32R, damit muss ich das Verhältnis der Maschen zueinander bestimmen. 23M : 25M ergibt 0,92 als Stitch Ratio. Wann immer jetzt in der Anleitung eine Maschenzahl erwähnt wird, beispielsweise Ärmelanschlag 64M, dann multipliziere ich dies mit meiner magischen Zahl. 64M x 0,92 = 58,88 also 59 M. Auf die eine Masche hin oder her kommt es nicht so an.

Diese Methode hat so überraschend funktioniert (siehe oben), dass ich sie gleich noch einmal eingesetzt habe. Denn nach dem Pulli ist vor dem Pulli und jetzt hat es mir zum ersten Mal eine Jacke angetan. Seht mal:



Ganz genau, das ist eine richtige Jacke (Rowena Cardigan) mit Knopfleiste und allem. Ich hab sogar ganz mutig ca. 4 cm Länge angefügt, weil der Pulli am Schluss doch ein wenig knapp geraten ist. Alles brav ausgemessen und wenn es jetzt doch nicht ganz so klappt, dann bin ich ja schließlich immer noch auf der Lernkurve.

Was aber unbezahlbar ist, dass ich jetzt mit einem ganz anderen Blick meine Strickbücher und -hefte durchblättern kann. Jippiiiie!