Sonntag, 31. Januar 2021

Kapitel 158 - Berührungsängste

Nach vielen Jahren unermüdlichen Einsatzes ist es mir in diesem Winter gelungen: ich habe einen Stricker erschaffen.

Sie ist 13 Jahre alt und hat sich beim letzten Weihnachtsfest sehr über Wollgeschenke gefreut, und zwar in unverstricktem Zustand. Es gab ein paar Stränge handgefärbtes Garn, ein bisschen Flausch und Sockenwolle.

Für mich ist das in vielerlei Hinsicht natürlich wunderbar. Zum einen kann ich hier hautnah verfolgen, wie sich jemand bestimmte Techniken und Fähigkeiten aneignet und wie sich dadurch auch Vorlieben ausbilden, zum anderen sehe ich hier, wie man strickt, wenn man keinen Stash hat.

Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann ich keinen Stash hatte. Da ich ja auch eine ganze Menge Wolle auf verschiedenen Wegen geerbt habe, hat sich mein ursprünglich kleiner Stash schnell zu einem Boxiversum ausgewachsen.


Aber jetzt bin ich also wieder auf Null.

Gleichzeitig kann ich versuchen, so viele gute Ratschläge wie möglich weiterzugeben:

Nicht zu viele Projekte auf einmal.

Fäden vernähen.

Durchhalten.

Es klappt besser, als ich vorher zu hoffen wagte.


Zu den schönsten Vorweihnachtserlebnissen gehört ein Besuch im lokalen Wollgeschäft, bei dem einfach drauflos ausgesucht werden durfte, was dann dem Christkind übergeben wurde.

Daraus wurde ein wunderbares Kuscheltuch (Hinweis: Ravelry-Link), das jetzt fix und fertig im Handarbeitskorb liegt.


Das Nächste sind ein paar Socken aus dem Opalabo, das wir uns teilen. Auch das ist wunderbar, weil ich immer dachte, für eine Person sind es auf Dauer schon sehr viele Knäuel pro Jahr, vor allem, wenn man noch etwas anderes stricken will. Aber zu zweit? Bestens!

Natürlich habe ich zur Begleitung auch ein paar Socken angeschlagen. Bei mir aus Resten, nach einer Spiralsockenanleitung (GumGum Socke Hinweis: Ravelry-Link). Es sind zwar schon viele meiner Garnüberbleibsel in meine diversen Reste-Häkeldecken gewandert, aber so schnell wie man möchte, geht es eben doch nicht.


Heute habe ich eine RVO-Strickjacke begonnen, die auch - doppelfädig mit schwarz - aus Resten bestehen soll. Und da kam dann endlich die entscheidende Frage auf: "Warum strickst du immer nur aus Resten? Du hast doch so schöne Wolle."


Stimmt das wirklich?

Na, das mit der Wolle stimmt bestimmt. Nicht umsonst hat man ja diverse Wollfeste und Spezialgarnläden besucht, als dies noch ganz normal zum Terminkalender eines Strickers gehörte. Es gilt ja sowieso: für's Hobby muss man auch Geld ausgeben dürfen, sonst macht es keinen Spaß.


Aber stricke ich wirklich nur mit Resten?

Nein, nicht immer. Aber: meine Gedanken kreisen doch oft um meine Reste. Ein paar Projekte, wie den Nanaimo Cardigan (Hinweis: Ravelry-Link) oder den Baw Baw Pullover (Hinweis: Ravelry-Link) habe ich nur begonnen, um zu sehen, wie ich da Reste unterbringen kann. Wenn ich dann noch Garn dazukaufen musste, geschenkt - das war leicht zu rechtfertigen, denn ich habe ja etwas Altes verbraucht.

Oft war auch der Erfolg gar nicht so durchschlagend. So habe ich für diesen Pulli Wolle am Ärmel verstrickt, die dafür gar nicht geeignet war, trotz doppelfädiger Sockenwolle. Seit dem ersten Tag pillt sie wie verrückt.


Das heißt, jetzt geht es also ans Eingemachte. Es stimmt, mein kleiner Stricker hatte recht. Ich habe irgendwie eine Scheu, meine schönen Knäuels, meine herrlichen Stränge anzubrechen. Ich habe auch schon Projekte wieder aufgetrennt, weil ich das Gefühl hatte, sie würden der Wolle nicht gerecht, etwas passt nicht richtig, etwas sieht irgendwie nicht gut aus und vor allem bei Socken beliebt: das Garn ist zu schade. Das hebe ich mir lieber für ein "besonderes Projekt" auf.


Vielleicht weil ich aus einer Generation stamme, in der die Vokabel "auftragen" noch eine Rolle gespielt hat?

Der Wintermantel, die Sandalen, der Badeanzug sind doch noch gut in Schuss. Die kann man noch gut auftragen. Es ist nicht notwendig, in der brandneuen Sonntagsjacke beim Spaziergang durch den Wald zu traben. Da "tut es auch" die alte.


Das bedeutet beim Stricken dann auch, dass ich erst mal meine Reste "aufstricken" muss, die "tun es doch noch", bevor ich das neue, das teure, das besondere Garn anstricken darf. Was für ein alberner Zwang, der aber natürlich, so wie alle inneren Zwänge, gar nicht so einfach abgeschüttelt werden kann, wie man das rational vor sich selbst begründen kann.


Schließlich hat man ja gelernt, dass man das neue Stück Käse im Kühlschrank erst dann anschneidet, wenn das alte aufgegessen ist.

Nur, dass das beim Stricken fast nie passiert. Hier haben wir das Dilemma:

Wer kann denn ernsthaft von sich behaupten, dass er alle seine Reste verbraucht hat?

Na, ich weiß es - mein kleiner, neuer Stricker, dieses kleine Fräulein kann aus dem Vollen schöpfen, und tut das auch, sehr zu meiner Freude.


Und ich?

Ich werde jetzt mal ein Wechselmodell versuchen. Und meine kognitive Dissonanz mit folgendem Mantra zu überwinden suchen: es wächst jeden Tag Wolle nach! Wenn sie verstrickt ist, dann gibt es irgendwo wieder neue!

Mal sehen, ob's klappt.


Und bei dem neuen Kuscheltuch meiner Tochter? Ist ein kleines Mini-Knäuel übrig geblieben. Das werde ich am besten einfach diskret verschwinden lassen. Schließlich will man nicht alle seine wunderlichen Angewohnheiten weitervererben.


P.S.: Gerade habe ich gesehen - den Sockenreste-Wollpullover habe ich letztes Jahr im Januar angeschlagen. Vielleicht ist es nur ein jahreszeitlich bedingtes Formtief? Hoffen wir's.

Mittwoch, 20. Januar 2021

Kapitel 157 - ein neuer Trend???

Es gibt ja Ereignisse, nach denen kann man die Uhr stellen. In jedem einzelnen Januar, den ich auf diesem Planeten bewusst erlebt habe, war der Monat Januar der Moment des Großen-Aufräumens, des Alles-Umkrempelns und wie sollte es anders sein nach den Weihnachtsherrlichkeiten: der Moment der Endlich-Zu-Erfolgenden-Ernährungsumstellung. Vorsätze gibt es ja genug. Da ist es natürlich kein Wunder, dass man als kleiner Stricker im Januar auch den einen oder anderen Plan für das neue Jahr fasst.

Also zum Beispiel eine neue Technik ausprobieren: Patent oder Double-Face oder Steeken.

Oder eine bestimmte Projektart in Angriff nehmen: endlich auch mal einen echten Islandpullover stricken.

Oder eine neuartige Wolle ausprobieren: ich will auch mal mit Mohair einen Flausch erzeugen.


Soweit so normal. Selbst Ravelry hat vor ein paar Jahren einen Challenge-Button eingeführt, bei dem man sich für seine eigene Projektseite der Herausforderung stellen kann, eine vorher selbst bestimmte Anzahl von Projekten in einem Kalenderjahr zu beenden. Dies hat auch bei mir im letzten Dezember noch zu hektischen Manövern geführt, nur damit ich die gesetzte Zahl auch wirklich erreichen konnte. Ein bisschen albern, ich weiß, aber doch ein Supergefühl.


Dieses Jahr, so scheint mir aber, kommt noch eine neue Dimension dazu. Offensichtlich soll 2021 ganz im Zeichen des großen Stash-Abbaus stehen. Auch an dieser Stelle wurde davon schon gesprochen, ganz angesteckt von Mandy Strickt Jeden Tag. Sie ist aber nicht allein. Auch Monika von Momas Wollwelt hat ihre Truhen durchforstet, Kiko von Kikos Strickschule plant weniger Neuanschläge und mehr Projektbeendigungen. Und jetzt höre ich schließlich auch den Frickelcast davon sprechen, im Januar möglichst alle angefangenen Projekte zu beenden. Oder zumindest jeden Monat eine solche Projektleiche aufzustöbern und so lange wieder zu beleben, bis sie fertig ist. Was ist da los? Das Jahr 2021 als das Jahr des Großreinemachens?


Es scheint, als hätten wir Zeit genug. Gerade erst ist der Lockdown erneut verlängert worden. Viele von uns sitzen zu Hause und können mit den Nadeln klappern.

Aber das stimmt natürlich leider nicht. Gerade die Vermischung von Arbeit und Freizeit in den eigenen vier Wänden nimmt langsam aber sicher ein Ausmaß an, das nur noch schwer erträglich ist. Und dazu scheint der neue Trend besonders zu passen.


Es scheint ein allgemeines Gefühl der Notwendigkeit von erfolgreicher Kontrolle zu geben. Wenn ich schon sonst so völlig den Launen eines winzigen Virus ausgesetzt bin, dann kann ich doch wenigstens meine Projektzahl in den Griff bekommen und bei mir zu Hause alles besser organisieren.


Das stimmt wohl und zu dieser Kategorie zähle ich mich selbst auch immer noch. Der Plan, zwei Projekte zu beenden, bevor ein neues angeschlagen wird, hat zu einer fertigen Strickjacke und einem Paar Socken geführt, die sonst vielleicht noch nicht beendet gewesen wären. Das hat mich sehr beruhigt, und aus dieser Ruhe heraus habe ich dann meine neuen Fingerhandschuhe angeschlagen.


Vielleicht ist aber das genaue Gegenteil richtig? Schließlich handelt es sich hier um ein Hobby, um etwas, das unseren Alltagsstress lindert. Es soll Spaß machen, es soll uns beruhigen, vor allem aber soll es zwanglos sein. Wenn wir uns hier auch noch strengen Regeln unterwerfen, dann haben wir überhaupt keinen Raum mehr für Erholung.


Und dann blüht uns vielleicht etwas, wovon wir im Februar wieder zuverlässig lesen werden: der Jojo-Effekt. Zumindest was meine Projekttaschen (und meine Figur) betrifft, so möchte ich lieber darauf verzichten.


Da halte ich mich doch lieber an Mandys neues Motto aus ihrem letzten Podcast: alle Pläne über Bord!


Na dann: Ahoi und eine Buddel voll Rum!


Montag, 4. Januar 2021

Kapitel 156 - Meine persönliche C-Kurve

 2020 war das Jahr der Zahlen und Kurven. Ständig hat man Werte und Diagramme studiert und verfolgt, ob die Kurve abflacht oder ansteigt oder sogar exponentiell ansteigt und so wie es aussieht, wird uns das noch eine ganze Weile auch 2021 begleiten.


Grund genug, dachte ich mir, mal den persönlichen Knäuel-(Re)produktions-Faktor und die ureigene WEK = Wolleinkaufskurve unter die Lupe zu nehmen.


Im Rückblick hat sich zuerst alles noch ganz gut angelassen. Der Lockdown kam, die Kisten waren gefüllt. Endlich war der jahrelang feinsäuberlich kuratierte Wollvorrat vulgo Stash zu etwas Nutze. Man hatte Auswahl, man hatte Gelegenheit und man hat natürlich aus dem Vollen geschöpft.

Mit dieser Idee war ich natürlich nicht alleine, in mehr als einem Podcast oder Blog habe ich davon gehört und gelesen, dass es vielen so ging. Da wurde sogar Pläne aufgestellt, nur aus dem Stash zu stricken oder alle angefangenen Arbeiten zu beenden oder einfach nichts Neues zu kaufen, wenn nicht der Wolladen vor Ort wieder aufmacht.


Das ging auch eine Weile ganz gut. Ich habe mit meiner Rest-Deckenwolle eine neue Corona-Quarantäne-Decke begonnen und jeden Tag ein Fleckerl gestrickt. Genug Wolle war ja da.


Aber…kaum war ein bisschen Ruhe eingekehrt, der neue Alltag organisiert, habe ich gemerkt: ich hatte plötzlich auch viel mehr Zeit mir diverse Podcasts neu anzusehen, auf Ravelry zu stöbern und überhaupt erst neue Strickideen zu bekommen.


Und genau dann haben die Wolläden schließlich doch wieder aufgemacht.


Es kam, wie es kommen musste: nichts wie hin, den lokalen Handel unterstützen und natürlich Wolle für viele neue Ideen kaufen. Mit anderen Worten: meine Wolleinkaufskurve ging steil nach oben.  Ich habe geschwelgt. Und meine Pläne, alles erst einmal aufzustricken waren natürlich perdu.


Dann kam der zweite Lockdown und die zweite Runde an Vorsätzen. Wieder wurde brav aus dem Stash gestrickt, alle vorhandenen Projekttaschen mit den dazugehörigen Projekten unter die Lupe genommen und neu sortiert. Aber natürlich war auch wieder Zeit da, in schon schon vorhandenen Büchern und Magazinen zu stöbern. Sehr hilfreich für die Ideenfindung, aber nicht sehr hilfreich für die Entschlusskraft.


Das Weihnachtsfest kam ins Blickfeld, Geschenke (=Wolle) und Wolle für gestrickte Geschenke musste besorgt werden. Nebenbei gesagt - das ist nach wie vor die beste Entschuldigung für den Wollkauf: "Es ist ja nicht für mich selber, sondern für XYZ." Hahaha.


Dann wurden schon Überlegungen für das neue Jahr angestellt, Strickpläne erwogen, über Make Nines gegrübelt, und die neuen Stricktrends unter die Lupe genommen (dicke und leichte Garne, echte und unbehandelte Schafwollgarne, Klützer, Klützer, Klützer). So viele Sachen!!!


Politisch kamen jetzt auch die Brexit-Verhandlungen in der letzten Runde dazu und die Angst vor möglichen neuen und sicherlich viel höheren Portokosten. Der Klickfinger konnte gar nicht anders als ständig unkontrolliert vor sich hinzuzucken. Und so hat die Weltpolitik meine persönliche Strickpolitik beeinflusst. Die Wollkurve stieg und stieg und stieg.


Damit hat sich meine Strickkurve nahezu nahtlos der vorhandenen C-Kurve angepasst. Anstieg, abflachen, neuerlicher Anstieg. Es ist gar nicht so verkehrt, hier von explosionsartigen Stash-Zunahmen zu sprechen. Alles natürlich, um den lokalen und überhaupt den Wollhandel zu unterstützen. Bin ich unverbesserlich?


Jetzt kann mich eigentlich nur noch Mandy retten. Es ist Januar 2021 und ich steige ein bei Mandys Stash-Abbau-Projekt. Alle meine Projekttaschen habe ich in Kisten gepackt und werde sie nacheinander herausziehen und fertigstricken. Das ist der Plan. So lange bis die Kurve wieder flacher ist. Dann wird man weitersehen. Noch bin ich guter Dinge!


Euch allen, liebe Leser, ein wunderbares neues Jahr. Wir müssen uns einfach weiter durchkämpfen - und sei es durch neue Stash-Berge ;-)