Es gibt auch gute Nachrichten. Die sind bitter nötig, wenn man sich durch das Durchklicken all dieser herrlichen Blog-Seiten immer wieder die Bestätigung holt, dass man dieses und jenes und das auch noch nicht kann. Es ist ja insgesamt so viel los, dass es scheint, als würden minütlich wunderbare Werke veröffentlicht, die man selbst nie und nimmer so hinkriegen würde.
Da ist jetzt einfach mal Zeit für eine positive Meldung. An dieser Stelle ist es mir also ein großes Vergnügen, mitzuteilen, dass meine langjährigen (sprich einjährigen) Bemühung um die richtige Fadenspannung beim Fairisle, also beim Jacquardstricken endlich doch irgendwie von Erfolg gekrönt gewesen sind.
Ich hab ja schon mal darüber geschrieben, dass ich als alter Brett-stricker zu einem endlosen Geziehe der Spannfäden neige, das dann dazu führt, dass bestimmte Mustersätze nicht nur schwächer zu sehen sind, sondern völlig in der Hintergrundfarbe verschwinden.
Kann irgendjemand erkennen, welche Tiere hier hineingestrickt wurden? Nein? Kein Wunder!
OK, ein Plan muss her. Ein richtiger Übungsplan. Den habe ich mir dann in Form dieser Anleitung gekauft:
Wendy Johnson's Leftovers Cowl.
Ein aufwändiges Projekt, das schon, aber ich muss ja auch viel üben! Und wenn schon, dann lieber gleich richtig. Entweder meine Fadenhaltungsfertigkeiten ändern sich signifikant oder ich schmeiße die ganze Chose in die hinterste Ecke. Schluss, aus!
Mit dem Faden hab ich dann auch gleich enthusiastisch herumprobiert. Rechte Hand, linke Hand, je ein Faden in je eine Hand, ich bin alles durchgegangen, aber letztendlich bin ich doch bei der altmodischen Beide-Fäden-Links-Methode geblieben. Mit einem großen Seufzer, denn ich wollte so gerne cool mit je einem Faden pro Hand das Strickzeug halten und dann mit meinen Stricknadeln elegant herumwirbeln, sodass das ganze Vorort-S-Bahn-Abteil mit offenem Mund meine Zauberfinger bewundern muss. Vanity, thy name is also ganz offensichtlich my name. Kein Wunder, dass da die Strickgöttin dagegen war!
Ich hab mich stattdessen ganz pragmatisch für meine linksfädige Methode entschieden, weil sie eben doch im Vergleich die schnellste war und ich mir damit zugetraut habe, langsam aber sicher die richtige Fadenspannung hinzubekommen.
Das Projekt wurde im Februar 2014 ganz enthusiastisch gleich nach Kauf der Anleitung begonnen, denn als alter Sockenstricker hatte ich ja wahrlich genügend Wollreste:
Gemerkt? Eine echte Win-win-Situation!
Es ging auch gleich flott voran. Die Anleitung ist super verständlich und schön knapp gehalten. Ich war voll motiviert:
Weil dies überdies mein erster Cowl werden sollte, hab ich mich ganz streng an die Anleitung gehalten, die erforderliche Maschenanzahl angeschlagen, Marker gesetzt und die Farben nach jeweils einem Durchgang von 101 Reihen vertauscht.
Man ist eigentlich natürlich völlig frei, kann die Farben verstricken, wie es einem einfällt. Mir hat die Wiederholung mit unterschiedlichen Farben (Vordergrundfarbe wird zum Hintergrund und umgekehrt) vor allem auch deshalb so gut gefallen, weil man dadurch Farbkombinationen zu sehen bekommt, die einem vielleicht sonst gar nicht einfallen würden.
Meine Zwischenbelohnungen im Projekt fielen dürftig aus. Die anfänglich aus Wollresten geknüpften Maschenmarkierer (siehe oben) wurden im Laufe des Jahres zu echten Markierern. Der Beginn der Reihe wurde mit einer Perle gekennzeichnet (s.o.) Aber das sind nur Kleinigkeiten.
Die weitaus bessere Idee hat Wendy Johnson in ihrer Anleitung vermerkt. Es empfiehlt sich, so schreibt sie mit Nachdruck, die Fäden jeweils schon nach einem Durchgang der kompletten Strickschrift zu vernähen. Und wenn man den Cowl auf links dreht, dann weiß man auch warum:
So richtig schön zum Gruseln! Aber das muss man meditativ sehen. Gute Musik anmachen. Eine scharfe Schere und die richtige Nadel parat legen und los geht's. Wenn das jeweils immer nach einem Mustersatz gemacht wird, dann ist es irgendwie doch gar nicht so viel (mein Cowl hat insgesamt sechs Mustersätze).
Dann gab es schon bald die Halbzeit zu feiern. Wird doch.
Ich bin immer noch am meisten davon fasziniert, wie unterschiedlich die einzelnen Muster aussehen können, wenn man die Farben vertauscht. Zum Beispiel hier: weinrot/cremeweiß.
Das Muster hab ich ursprünglich als rotes Muster auf weiß gedacht. Aber seht mal: ist es in weiß auf rotem Grund nicht sehr viel hübscher?
Eigentlich ergibt sich mit diesem Projekt also sogar eine dritte Win-Situation, nämlich die Möglichkeit, anhand von kleinen Garneinheiten bestimmte Kombinationen zu testen. Gar nicht so übel.
Das nächste Jacquard-Projekt soll nämlich doch ein Pullover werden. Wenn auch (noch) nicht für mich, so doch vielleicht in dieser Art. Wäre doch nett. Und mit Farben könnte ich dann auch ein wenig spielen.
Was mich bei der Beziehung Stricker-Strickprojekt allerdings wundert, ist, dass sie immer nach demselben Schema verlaufen. Bei mir jedenfalls.
Am Anfang herrscht die totale Euphorie. Da wird gestrickt, auf Teufel komm raus, damit man schon mal sehen kann, in welche Richtung sich das Projekt entwickelt.
Dann kommt der Stimmungsknick. Überhaupt keine Lust mehr auf das Projekt. "Nee, nicht schon wieder dieses Ewigkeitsteil!" Ab in den Strickkorb für eine Weile. Bei mir waren es ein paar Monate.
Das ist wahrscheinlich zur Entwöhnung gedacht, weil kaum treibt einen das schlechte Gewissen dazu, das Projekt wieder hervorzukramen, weiß man binnen zehn Minuten eigentlich nicht mehr, warum es anno dazumal überhaupt zum schlafenden Monstrum geworden ist. "Macht doch Spaß."
Aber dann: die schlimmste Phase. Kurz vor Ende geht einfach 'nix mehr weida'. Da strickt und strickt und strickt man und man kommt nicht vom Fleck. Man träumt sich schon an das Ende, aber das lässt auf sich warten. Man verstrickt sich und muss auftrennen. Man verliert eine Masche und muss sie mühsam wieder hochpfriemeln. "Nee, das wird doch nichts mehr."
Und dann ist er plötzlich doch da. Der allerletzte Moment. Bei diesem Projekt ist sogar ein Wunder vorgeschaltet, denn bevor der Cowl per Maschenstich mit der ersten Reihe zu einem Strickschlauchring verbunden wird, muss gedämpft werden.
Bügeleisen an und los geht's. Abrakadabra verwandelt sich ein bis dato ein bisschen schiefes Gestrick - wie gesagt, war ja eine Übungsaufgabe - in ein glattes Wunderwerk. Ich könnte jetzt nicht beschwören, dass sich meine Begeisterung am Bügelbrett nicht in wenigstens ein paar gequietschten Schreien geäußert hat. "Toll!"
Dann die Kinder rausgeschickt, mein altes Debbie Stoller Buch herausgekramt und Ende mit Anfang per Maschenstich verbunden. Maschenzahl stimmt! Letztes Ende vernäht und durchgeschnauft. Fertig!
Endlich!
Fertig!
Über 500g Wollreste sind da hineingewandert.
Wenn ich mich ein bisschen anstrenge, dann kann ich auch die einzelnen Restchen dem jeweiligen Sockenpaar zuordnen, von dem es stammt.
Ich kann mir den Cowl zweimal um den Hals schlingen und werde doch nicht gewürgt. Sondern nur mollig warm. Er trägt sich herrlich.
Und im Herbst kaufe ich mir dazu einen Hammer-Mantel. Am besten in schwarz.