Mittwoch, 27. Oktober 2021

Kapitel 168 - Vom Abschiedsschmerz

Jetzt hat es mich also auch erwischt. Irgendwie habe ich's ja geahnt, aber lange nicht wahrhaben wollen:


Mein LYS - mein lokaler, naher, schöner Wolleladen - hat leider schließen müssen. Ich wusste natürlich, dass die Besitzerin nicht mehr die Jüngste war. Dabei war sie es gewesen, die heldenhaft vor einigen Jahren, als sich schon einmal ein Ende des Ladens als Gespenst am Horizont abzeichnete, mutig einsprang und kurzerhand den Laden selbst übernahm, damit er eben nicht schließen musste. Auch wenn die Inhaberfirma unseren Ort verlassen wollte.


Das hat uns noch ein paar schöne Jahre beschert - Garn und Nadeln immer parat, wenn sie plötzlich mitten im Projekt ausgehen wollten.


Natürlich war es kein moderner, stylischer Wolldealer, der mit allem möglichen Schnickschnack herhalten konnte, sondern ein eingesessener Krimskrams-Laden, der eben auch den Reißverschluss und das Nähgarn für die Strickjacke in der richtigen Länge und in der richtigen Farbe sofort und ohne Umstände hervorzaubern konnte.


Das war es auch, was besonders geschätzt worden ist und was - interessanterweise - auch den stetigen Umsatz beschert hat, von dem die Inhaberin und ihre Mitarbeiterinnen letztlich lebten. Vom Kleinkram, den Knöpfen, der Nähseide, dem Flies, der Stopfwolle, die so gerne ausgehen und wegen derer man aber ungern die komplette Liefer- und Verschickindustrie beauftragen will.


Was für ein Luxus, wenn solch ein Laden nur ein paar Radlminuten entfernt ist. Und was für eine Riesenlücke, wenn solch ein Laden plötzlich schließt.


Dabei geht es natürlich um den ganz normalen Prozess des Sich-in-den-Ruhestand-Verabschiedens. Auch eine langjährige Ladeninhaberin darf halt irgendwann aufhören und sich zur Abwechslung mal erholen.

Es ist aber dennoch traurig, wenn man hört, dass sie schon länger als ein Jahr nach einem Nachfolger oder einer Nachfolgerin gesucht hat, die sich aber einfach nicht finden ließen. Auch der am Schluss verzweifelt beauftragte Großhändler konnte nicht mehr weiterhelfen. Schade, schade.


Muss ich mir jetzt Sorgen machen? Ich weiß es nicht.


Zu den besonders guten Zeiten hatten wir zwei Wollläden in unserer Schlafstadt vor den Toren einer süddeutschen Großstadt, jetzt bleibt leider gar keiner mehr übrig.


Vor allem passen diese schlechten Nachrichten gar nicht so gut zur blühenden Strickwelt im Virtuellen.


Da kann gar nicht genug Wolle geshoppt werden, kommt es mir vor.


Da werden Kurse angeboten und gebucht.

Da wird teure und teuerste Wolle problemlos verkauft.

Da gibt es Strickabende und Knitalongs und alles mögliche andere, für das die begeisterte Kundschaft gerne bereit ist zu bezahlen. All das für den Spaß an der Freud, aber auch deshalb, damit so ein Laden überleben kann.


Woran kann es also hier liegen?


Das letzte einschneidende Erlebnis war die Schließung des örtlichen Bastelladens. Auch dort konnte niemand gefunden werden, der den Laden übernimmt. Als ich nachgefragt habe, wurde mir erzählt, dass die Banken einfach nicht bereit seien, für Bastelbedarf Kredite zu vergeben. Ladensterben hin oder her.


Kann das der Grund sein? Kein Verständnis für kreative Notwendigkeiten in der Kreditabteilung eines lokalen Geldinstituts?


Diese Erklärung wäre dann aber zumindest wenigstens einigermaßen amüsant.


Vor allem, wenn man weiß, dass erst vor zwei Wochen das dritte Tattoo-Studio hier im Ort neu eröffnet hat. Alle drei höchstens fünf Minuten voneinander entfernt.


Vielleicht ist das ein Wink des Schicksals?


Na dann: ich habe verstanden. Offensichtlich brauche ich ganz dringend ein schickes Wolltattoo!

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