Mittwoch, 4. November 2015

Kapitel 124 - Liebe Frau Ott!

Zunächst mal möchte ich mich als Fan Ihrer Kolumne outen. Mit großem Vergnügen lese ich jeden Monat Ihre endgültige Ablage und habe mich oft schon darüber gefreut, wie genau Sie die Nägel auf den Kopf treffen. Und wie gelungen Sie darüber schreiben können. Der Text über die Taufe von kleinen Kindern - spot on! Und das sage ich hier als kleiner Katholik aus dem Süden.

Es ist gar nicht so einfach interessante Probleme zu erkennen und dann immer witzig und zielgerichtet darüber zu schreiben. Gerade deshalb freue ich mich auf jeden Ihrer Texte. Aber sagen Sie mal, was war denn diese Woche los?

Ich verstehe ja, wenn Sie etwas genervt davon sind, dass auf der Buchmesse statt "die bewährten Kulturtechniken Lesen und Schreiben" zu feiern, ein so genannter Handmade-Tag ausgerufen wurde. Aber: glauben Sie wirklich, dass daran die "Mädels" schuld waren? Nee, nee.
Da sind die Buchverlage vor! Und die haben eben erkannt, dass im Moment ne Menge Kohle zu holen ist, wenn man Bücher über das Selbermachen von was auch immer herausbringt. Lesen Sie mal nach in speziellen Handarbeitsblogs, z.B. bei stefanella und stellen Sie fest, dass hier die Verlage ganz klare Vorgaben machen, was sie haben wollen. Und wenn dann die 'Mädels' liefern, dann ist das eigentlich genau dasselbe, als ob ein Spitzenkoch ein Buch über Smoothies schreibt, nur weil sich jeder gerade diese klebrige Brühe in der Küche zusammenmixt. Weil es eben 'in' ist. Wenn man wieder drauf gekommen ist, dass Zähne auch gesünder bleiben, wenn man seine Selleriestange zermalmen darf, dann gibt es eben wieder was Neues und es werden neue Bücher (und Rezepte) erfunden.
Ich wiederhole mich also gerne: auch hier werden keine Kulturtechniken gefeiert, sondern neue Trends beim Essen in einen Haufen klingender Münzen verwandelt.

Aber klar, eine Geschichte der Philosophie in drei Bänden ist was anderes als eine Jungschauspielerin, die am Set strickt. Aber kann man das wirklich vergleichen? Der eine ist promovierter Germanist und die andere ein 18-jähriges Mädel, von dem ich nicht einmal weiß, ob es einen Schulabschluss hat. Wollen Sie das wirklich vergleichen? Kann man das überhaupt vergleichen? Da fallen mir doch auf Anhieb ne ganze Menge anderer Damen mit anderem Kaliber ein, die man Herrn Precht gegenüberstellen kann.

Die Frage nach den Prozent der Entscheidern ist natürlich eine problematische. Ja, "85 Prozent der Filme [werden] von Männern produziert". Männer sind sicherlich auch häufiger Regisseure, sie sind vor allem hierzulande immer noch sehr viel häufiger in Firmenvorständen und Schuldirektoraten als dies in anderen Ländern der Fall ist, aber liegt das immer nur an den Mädels?

Vielleicht ist es einfach auch so, dass die Mädels das gar nicht wollen. Lesen Sie mal, was Martina Behm darüber schreibt, warum sie ihren Job als Journalistin aufgegeben hat. Wenn sie damit auch Geld verdienen kann, dann soll sie doch. Dann darf sie doch.

Ich kam ernstlich ins Grübeln bei der Lektüre. Wenn die Welt nur aus Leuten wie mir bestehen würde, dann gäbe es weder Hochhäuser noch Brücken, das ist mir klar. Könnte ich nicht. Bewundere ich total. Aber warum soll ich nicht trotzdem das machen dürfen, was mir Spaß macht? Ich bin mit meinem Studium nicht so weit gekommen in der Liga der Weltverbesserer, aber ich versuche auch, was ich kann, an meinem kleinen Arbeitsplatz. Und in meiner Freizeit, da stricke ich nun mal. Oder häkle.

Ihr eigener "lila Norwegerpullover mit grünen Hirschen" ist sicherlich auch in einer Zeit entstanden, die man vielleicht für etwas anderes hätte verwenden können. Muss man aber nicht immer, oder doch?

Was genau ist nochmal verkehrt am Stricken mit Flüchtlingen für Flüchtlinge? Der Winter kommt bald und dann hat sich's mit den Zeltstädten. Dann ist man doch froh, wenn man warme Socken verteilen kann, Brücken hin oder her. Ich denke eher, hier versucht jemand, die Öde und Langeweile der Riesenhallen zu bekämpfen, die ja auch zu Stress und Aggression führt. Da könnten sich die männlichen Netzwerker mal ne Scheibe von abschneiden.

Und schließlich die Laternenpfähle, die Straßenbäume und die Blümchen für Scheinwerfer. Yarnbombing also. Kann ich verstehen. Da geht es mir häufig so, wie es die Engländer so treffend ausdrücken können: ich hab da zwei unterschiedliche Meinungen dazu. Kann man machen, kann man sein lassen. Manches verstehe ich und manches verstehe ich auch wieder nicht. Aber so geht's mir auch, wenn ich mir Graffiti ansehe (was übrigens hauptsächlich von Männern gemacht wird).

Und da hilft mir halt, dass ich aus dem Süden dieser Republik komme, denn hier gibt's die eindeutige Antwort drauf: Ja mei!

Mehr ist es dann schon wieder nicht.

2 Kommentare:

  1. Stricken oder Häkeln und Weltverbessern / Erfolg haben schlissen sich nicht zwangsläufig aus ;-)

    Ich schließe mich deinem "ja mei" an ;-)

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  2. Guter Kommentar, ich verlink das mal bei mir :-D

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